Mathilda Savitch - Roman
Seite. Die Blonde und den Blauen.
«Ich habe nachgedacht», sagte ich.
Kevin sah mich an, schien aber kein bisschen gespannt zu sein. Einen Augenblick hatten wir ziemlich guten Blickkontakt. Plötzlich fiel mir auf, sein Haar war nicht nur blau, sondern auch zornig, wie es in lauter Messerspitzen von seinem Kopf abstand.
«Ich habe mir überlegt, wir sollten vielleicht meinen Keller ausprobieren», sagte ich.
«Was meinst du?», fragte er.
«Für den Katastrophenfall», sagte ich.
«Wo würdest du hingehen?», fragte ich ihn. «Hast du einen Ort, wo du dich verstecken kannst?»
Er sagte, ja, er habe einen Dachboden, aber ich erklärte ihm, ein Dachboden sei meiner Ansicht nach kaum der ideale Ort.
«Das sind keine Nazis», sagte ich, «das sind Bomben.»
«Ein Keller ist besser», sagte ich.
«Wenn es biologische Waffen wären, kämen sie auch da unten hin», sagte er.
«Aber langsamer», sagte ich. «Man hätte wenigstens eine Chance.»
Er sah mich prüfend an, ob ich Spaß machte, aber ich war todernst. Ich kannte alle potenziellen Gefahren, weil wir im Unterricht FEMA, das Katastrophenschutzprogramm der Regierung, durchgenommen hatten. Ich fragte Kevin, ob er schon mal «Heute in der Geschichte der großen Katastrophen» unter www.fema.gov. ausprobiert habe.
«Manchmal, wenn ich mich langweile», sagte er.
Unter www.fema.gov findet man einen Kalender, auf dem man praktisch jedes Datum anklicken kann, um zu sehen, ob es an diesem Tag eine Katastrophe gegeben hat. Und meistens findet man eine. Einen Brand, eine Überschwemmung oder einen Tornado, und gelegentlich Terror. Natürlich hat es nicht so viele Attentate wie Fluten und Feuer gegeben. Aber auf der Webseite steht, man müsse mit mehr rechnen.
Ich erzählte Kevin, dass ich schon angefangen habe, Essen und Wasser in den Keller zu bringen.
«Ich gehe jedenfalls runter», sagte ich. «Ein Test muss sein.»
«Mit deinen Eltern?», fragte er, und ich sagte: «Nein, alleine. Sie dürfen es gar nicht wissen.»
«Sie werden dich hören», sagte er.
Ich lächelte verschmitzt. «Wir müssen eben leise sein», sagte ich.
Ich sagte ihm, Anna komme auch in den Keller, obwohl ich sie in Wahrheit noch gar nicht gefragt hatte.
«Anna McDougal?», fragte er. Sein Hahnenkamm stand praktisch aufrecht.
Sei vorsichtig, dachte ich.
«Wann willst du es machen?», fragte er.
Er beugte sich etwas dichter zu mir vor. «Wir sollten ein Treffen verabreden», sagte er.
Genau in diesem Augenblick flog ein Vogel über unsere Köpfe. Eine Sekunde dachte ich, es sei ein feindliches Flugzeug, im Ernst. Mein Herz pochte. Und das Komische ist, obwohl es kein Flugzeug mit einer Bombe im Bauch war, war es das praktisch doch. Der Vogel landete auf einem Baum und schiss auf einen Kantinentisch.
Schiss
klingt nicht wie ein richtiges Wort, aber es ist eines. Schiss!
«Oje», sagte ich, «wie unanständig.»
Kevin klatschte in die Hände. «Verdammt noch mal, hau ab!», sagte er, und der Vogel tat es. Er flog davon und setzte sich auf den nächsten Baum, aber er schielte von der Seite unentwegt zu uns hinüber. Insgeheim fragte ich mich, wer ihn wohl geschickt habe. Wessen Vogel war das?
«Wenn du willst, kannst du Samstag zu mir kommen, meine Eltern gehen weg», sagte Kevin.
«Dann könnten wir einen Plan machen», fügte er hinzu, nur um klarzustellen, dass er kein Date oder so was meinte.
«Okay», sagte ich, und dann kam die große Verlegenheit, ich glaube für uns beide.
Kevin nickte und ging weg, den Blick auf den Boden gesenkt, die Hände in den Hosentaschen. Dann drehte er den Kopf noch einmal um und spuckte. Es war eklig, aber genial. Die Sonne schien in alle Richtungen. Auf einmal war ich glücklich, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Ich versuchte zu spucken, sabberte aber nur.
«Was guckst du so?», sagte ich zu dem Vogel und drohte ihm mit der Faust. Aber er rührte sich nicht. Er blinzelte nicht mal.
Es gibt viele Möglichkeiten, über die Terroristen nachzudenken. Man muss sich fragen, was sie empfinden. Sind sie wütend oder traurig oder böse? Dieselbe Frage habe ich mir wegen dem Mann gestellt. Dem, der Helene geschubst hat.
Wenn sie wütend sind, müsste es irgendwie möglich sein, sie zu beruhigen. Man müsste ihnen einfach geben, was sie haben wollen. Nur was, wenn sie alles wollen, deine ganze Lebensart? Wenn sie traurig sind, wäre es noch schlimmer. Ihre Traurigkeit hätte mit Sachen zu tun, die in der Vergangenheit passiert sind, und das
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