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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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stehen?», frage ich sie.
    «Wie zum Beispiel?», sagt sie.
    «Irgendwas selbst Erfundenes», sage ich. «Ihr eigenes Ding. Geschichten oder so.»
    «Nein», sagt sie. «Was für Geschichten?»
    «Ich weiß nicht», sage ich. «Was einen eben so quält.»
    «Wenn du die Worte des Gebets sprichst», sagt sie, «quält es dich nicht mehr so. Darum sprichst du sie ja.»
    «Aber das sind nicht meine Worte», sage ich.
    «Doch», sagt sie, «das sind unser aller Worte.»
    Sie war tatsächlich irre, entschied ich. Muss man wahrscheinlich, in ihrem Beruf.
    «Wünschen Sie sich auch manchmal was?», frage ich. Ich merkte, dass sie bald am Ende ihrer Geduld mit mir war. Man möchte meinen, der Geduldsfaden einer Nonne sei länger als bei anderen Leuten, aber ich glaube, das ist ein Irrtum.
    «Manche mögen das tun», sagt sie. «Ich nicht.» Plötzlich wurde sie etwas schmallippig. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie zugeknöpft manche Leute reagieren, wenn man ihnen bestimmte Fragen stellt? Man fragt irgendwas ganz Einfaches, und sie benehmen sich, als wollte man bei ihnen einziehen.
    «Sollen wir dir nicht doch einen Mantel holen?», sagt sie.
    Ich mache mir nicht die Mühe, mit ihr zu streiten. «Gern», sage ich. Irgendwie mochte ich sie. Das schwarze Kostüm hatte seinen Charme. Und sie hatte weiße Haare, kurz, aber nicht so kurz wie meine. Es war ein interessantes Weiß, mit Schatten drin. Wie das Weiß einer Sturmwolke.

    Im hinteren Teil der Kirche waren Räume mit Holzwänden und Sitzbänken und Bücherschränken. Wie in einem Herrenhaus. Ich war halbwegs darauf gefasst, Zigarren rauchende Männer mit dicken Bäuchen zu sehen. Aber es war alles ziemlich verlassen, kein einziger Priester weit und breit. Vielleicht war es ja ihr freier Tag. Oder sie schliefen noch. Außer sonntags machen sie sich sicher ein ganz schön faules Leben.
    Ich folgte dem Weißkopf durch einen Gang, der von der Kirche in ein anderes Gebäude führte. Ich kann Ihnen sagen, es war ein echtes Labyrinth da hinten. Ich war mir nicht sicher, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich hoffte nur, dass ich mir den Weg nach draußen merken konnte. Als wir zu dem berühmten Mantelzimmer kamen, war es nur ein Haufen Ramsch, schlimmer als bei uns im Keller. Wir standen in der Türöffnung und starrten auf den Schund. Weißchen lächelte, als wäre es Piratengold.
    «Du kannst nehmen, was du willst», sagt sie. Sie zeigt auf ein Regal an der Wand. «Da drüben haben wir auch ein paar Kindermäntel.»
    «Ich bin nicht obdachlos», sage ich.
    «Wie wär’s mit diesem?», fragt sie und hält ein verfilztes Etwas in leuchtendem Orange hoch. «Oder hier. Oh, dieser wäre gut und warm.» Sie zieht einen zweiten Mantel aus dem Regal. Er sah aus wie zusammengenähte Meerschweinchen.
    «Nein», sage ich, aber sie gibt ihn mir trotzdem. Es waren drei verschiedene Farben, schwarz, braun und weiß. Und ekelhaft weich.
    «Oh, ich glaube, das ist der Richtige», sagt sie.
    «Wessen Mantel ist das?», frage ich.
    «Das ist eine Spende», erklärt sie.
    «Gehört der jemandem, der gestorben ist?», frage ich.
    «Oh, darüber weiß ich nichts», sagt sie. «Ich glaube nicht.»
    «Er ist sauber», sagt sie, «wenn es das ist, was du fürchtest.»
    «Es ist ein gutes Stück», sagt sie. Sie wollte mir das verdammte Ding unbedingt aufdrängen.
    «Wie viel?», frage ich.
    «Oh, nein», sagt sie. «Nimm ihn einfach.»
    Immer mit ihrem Oh vor jedem Satz. Oh dies Oh das. Irgendwie war das lustig. Ich rechnete es ihrem Charme zu.
    «Probier ihn doch mal an», sagt sie.
    «Wenn ich draußen bin», sage ich. Wie käme ich dazu, so einen haarigen Mantel anzuziehen!
    «Darin siehst du bestimmt gut aus», sagt sie. Als hätte sie eine Ahnung von der Kunst, gut auszusehen.
    Aber sie hatte ein Lächeln, das einem wirklich unter die Haut ging.
    «Darf ich Sie etwas fragen?», sage ich. Sie schien mir genau die richtige Person dafür, so wie sie sich auskannte, hauptberuflich religiös und alles. Aber obwohl sie «ja natürlich» sagt, bringe ich es nicht heraus. Als wäre von innen ein Riegel vorgeschoben. Ich hatte gehört, Selbstmord sei eine Sünde, und wollte mehr darüber wissen. Ich wollte wissen, was ist, wenn man vor dem Selbstmord mit der Person gestritten hat, ob man dadurch die halbe Schuld bekommt. Diese Frage geht mir schon lange durch den Kopf.
    Ich wollte fragen, ob jemand sich selbst töten und zugleich von jemand anderem getötet werden kann. Egal, ob es Louis war,

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