Mathilda Savitch - Roman
oder ob ich es war. Das Problem ist nämlich, Helene und ich hatten einen großen Streit an jenem Morgen. Habe ich Ihnen das erzählt? Der Baum weiß jedenfalls nichts davon. Wie soll ich dir helfen, wenn du mir nichts erzählst?, sagte er immer. Aber nicht alles, was man auf dem Herzen hat, schafft es bis über die Lippen. Vieles geht unterwegs verloren.
Die Nonne wartete auf meine Frage, und ich musste etwas sagen. Ihr Lächeln hing wie eine Drohung über mir.
«Werden die Terroristen in der Hölle verbrannt?», frage ich.
«Was für Terroristen?», fragt sie zurück.
«Die Bombenleger», sage ich, «und ihre Leute. Aus der Wüste», sage ich.
«Oh, richtig», sagt sie. «Über diese Sachen bin ich gar nicht so auf dem Laufenden.»
Ich wüsste gern, wo die Nonnen wohl schlafen. Unter der Erde? Vielleicht machen sie sowas wie Zeitunglesen oder Fernsehen nicht. Vielleicht verstößt das gegen die Vorschrift.
«Das ist ne heiße Sache», sage ich. «Meine Freundin Anna hat einen Bruder drüben.»
«Oh je», sagt sie, «es muss schrecklich sein da draußen.»
«Wir werden für sie beten», sagt sie. Ich wusste nicht, wen sie meinte, die Soldaten oder die Terroristen, aber ich wollte mich mit ihr nicht länger aufhalten. Ich hätte vielleicht besser mit den Krishna-Leuten reden sollen, die sind meistens jünger, aber ich weiß nicht, wo sie hier in der Gegend zu finden sind, außer hin und wieder vor den Supermärkten. Wie man hört, sollen sie irgendwo im Wald eine Hütte haben. Wahrscheinlich züchten sie dort Pfauen.
«Willst du deine Mutter anrufen?», fragt sie mich plötzlich. Ich bin mir nicht sicher, was sich womöglich Komisches auf meinem Gesicht abspielt.
«Nein», sage ich, aber sie gibt nicht auf.
«Hast du eine Mutter?», sagt Weißchen.
Was ist denn das für eine Frage?
«O ja», sage ich. «Sie hat Aussicht auf den Pulitzer.»
Weißchen guckt etwas verdutzt.
«Danke für den Mantel.» Ich setze ein Lächeln für sie auf.
«Gern geschehen, mein Kind», sagt sie. Und ehe ich rennen kann, schießt ein Lichtpfeil aus ihrem Herzen direkt in meine Brust.
Jesus.
Es hätte mich fast umgehauen.
Neunundzwanzig
Zu Fuß zum Bahnhof ist es ein ziemlich weiter Weg, und mir blieb nichts anderes übrig, als den Meerschweinchenmantel anzuziehen. Es blies wirklich aus allen Rohren. Die letzten Blätter fielen in Scharen herab. Haben Sie schon bemerkt, wie unecht alles ist, sogar die Bäume? Wenn man sich mal darauf eingeschossen hat, kommt man kaum wieder davon runter. Sogar die Frau, die an der George Stanton Avenue ihren Müll rausbringt, spielt nur eine Rolle. Ihr perfektes Kostüm ist ein rosa Bademantel mit krassen gelben Gänseblümchen drauf. Die komische Nummer für ein Live-Publikum im Fernsehen, das über sie lachen soll. Entweder das, oder Heulen und Klagen. Der wattierte Morgenrock pumpt sich wie die Freiheitsglocke um ihre Beine auf.
«Guten Morgen», sage ich.
«Guten Morgen», sagt sie, und das Publikum tobt vor Begeisterung über unsere Nummer. Wie gekonnt wir unseren Text aufsagen. Ein paar Straßen weiter fegt ein Mann Laub zusammen, aber der Wind fegt alles wieder von dem Haufen weg. Es sammelt sich nichts, aber der Mann fegt weiter, als hätte er alle Zeit der Welt. Ich spare mir die Mühe, ihn eines Besseren zu belehren. Als ich in die verlotterte Gegend von Monroe komme, sehe ich zwei kleine Kinder, richtige Babys noch, die im Hof mit einer ramponierten Puppenstube spielen. Ich spüre einen Drang, in die Hände zu klatschen und sie wie streunende Katzen zu verscheuchen. Danach fange ich aus irgendeinem Grund wieder an zu rennen.
Der Bahnhof ist ein altes Gebäude mit zwei Fahrkartenschaltern und ein paar Selbstbedienungsautomaten. Es gibt einen Wartesaalmit Holzbänken und einer Anzeigetafel für die laufenden Abfahrtszeiten. Bei jedem Wechsel rauscht es, als würde mit geübter Hand ein Kartenspiel gemischt. Ich sehe, der nächste Zug nach Desmond fährt in einer Stunde.
«Was kostet einmal Desmond?», frage ich am Schalter.
«Einfache Fahrt?», will der Mann wissen, und ich sage Nein, ich wolle auch wieder zurück.
«Vierzehn achtzig», sagt er, ohne nachzusehen. Wahrscheinlich hat er schon Tausenden vierzehn achtzig von hier nach Desmond und zurück gesagt. Offensichtlich ist es nichts, was er furchtbar interessant findet.
«Meine Mutter wohnt in Desmond», erkläre ich ihm.
«Hübsches Städtchen», sagt er, und ich sage: «Ja, das stimmt, das ist es wirklich.» Obwohl
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