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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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spreche ich von ihrem Double. Vielleicht ist es auch egal, Anna rückwärts buchstabiert bleibt Anna, da kann ich nach meinen Regeln ruhig Anna sagen, wenn ich das Gegenteil von ihr meine.
    Carol Benton sagt etwas und reißt dabei die Augen auf, Anna hält sich lächelnd die Hand vor den Mund. Ich beobachte sie von draußen durch die dicke Glaswand der Cafeteria, die aussieht wie ein riesiges Aquarium. Scharenweise gehen Leute an mir vorbei, rempeln mich an, aber ich bin ein Fels in der Strömung. Ich rühre mich nicht vom Fleck. Eigentlich sollte ich heute gar nicht in der Schule sein, aber Pa hat sich nicht drum gekümmert, mich zu Hause zu behalten. Wir sind beide ganz durcheinander wegen Ma, tun aber so, als wäre alles ganz normal. Mach dir keine Sorgen, sagte er,wahrscheinlich hat sie sich verirrt. Du kennst doch deine Mutter, sagte er, und ich sagte ja, ich kenne sie. Carol Benton dreht den Kopf so, dass sie mich sehen könnte. Eine Sekunde lang hört sie auf zu reden, dann wendet sie sich mit flatternden Lippen gleich wieder Anna zu.
    Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit Anna über den Keller zu sprechen. Als ich heute Morgen bei ihr zu Hause anrief, war wieder Mrs McDougal am Apparat, und ich verlor die Nerven. Danach war ich spät dran für die Schule, und bis ich hier ankam, war Anna schon gekidnappt worden. Eines der Probleme mit Carol Benton ist, dass ihr Kopf viel zu groß für ihren Körper ist. Dasselbe mit ihren Brüsten, die nicht zu ihrem Alter passen. Und überhaupt, wer braucht schon solche Titten? Ich bin glücklich mit meinen Hügeln. Dicke Brüste sind fast eine Missbildung.
    Plötzlich kommt eine Riesenwelle, und ich fliege gegen die Glasscheibe. Es tut einen ziemlichen Schlag am Kopf. Kennen Sie den Ausdruck,
ich sehe Sterne
? Genau so würde ich das beschreiben. Als ich mich nach dem Schubser umdrehe, erkenne ich nur eine Menge verschwommener Gestalten, die es eilig haben, in den Unterricht zu kommen. Ich spüre etwas Feuchtes im Gesicht und fasse es an. Blut. Ein paar Tropfen sind schon auf dem Boden, sie laufen mir aus der Nase. Ich schreie, haltet den Schubser, und schmecke das Blut in der Kehle. Ein bisschen ist schon auf mein Hemd getropft.
    Und dann, wer taucht auf, wenn nicht Miss Olivera. Sie kommt zungeschnalzend auf mich zu, als wollte sie die Hühner füttern. Sie zieht ein Tempo aus der Tasche und versucht es mir ins Gesicht zu drücken.
    «Nein», sage ich, «das brauche ich nicht.» Sie ist schließlich nicht meine Mutter. Ich halte mir die Hand vor die Nase.
    «Nimm es», sagt sie, indem sie mir das Taschentuch hinhält. Man sieht, dass es benutzt ist, und mir wird speiübel.
    O zieht meine Hand vom Gesicht weg und zwingt mir das Taschentuch unter die Nase. Ich lasse sie gewähren. Ich lasse zu, dass sie mir vor aller Augen ein dreckiges Taschentuch ins Gesicht hält. Das Blut läuft weiter, rot wie sonst was. Das Taschentuch hat sich vollgesogen. Es ist wie eine Rose in O’s Hand, die sie mir vor die Nase hält, damit ich sie riechen kann. Sie riecht nach Geld, nach Münzen.
    Warum ist O hier?, frage ich mich. Was hat sie in meinem Leben zu suchen? Sie ist nicht die Person, von der ich gerettet werden möchte. Ihre freie Hand fasst mir mit Schmetterlingsfingern an den Kopf. «Warum trägst du eine Mütze?», fragt sie. Ich frage mich, warum sie mich anfasst. Ob sie vielleicht die Sorte Frau ist, die nie Liebe erlebt hat. Vielleicht ist sie eine Lesbe. Als die Glocke läutet, hält mich nichts mehr. Anna ist immer noch da, auf der anderen Seite des Glasraums, und als unsere Blicke sich kreuzen, guckt sie nach unten. Ich will zu ihr rennen, aber ich bin wie angewurzelt.
    «Ich habe nichts getan», sage ich.
    «Ich weiß», sagt O. «Ich habe gesehen, was passiert ist.»
    Aber was weiß sie, was hat sie gesehen? Nichts, wenn Sie mich fragen. Und meine Gedanken schon gar nicht. Auf einmal nimmt sie die Rose von meinem Gesicht und verbirgt sie in ihrer Faust. Hält sie sich etwa für eine Zauberin?
    «Haben Sie gesehen, wer mich geschubst hat?», frage ich sie.
    «Mach dir darum keine Sorgen», sagt sie.
    «War es Michael Flatmore?»
    «Niemand hat dich geschubst», sagt O. «Du bist nur im Strom mitgerissen worden.»
    «Komm mit mir», sagt sie, und wieder flattern ihre Finger.
    «Ist schon gut», sage ich.
    «Nur ein bisschen sauber machen», sagt sie.
    Ich bedanke mich, das könne ich alleine.
    «Und, wie geht’s dem Näschen?», sagt sie und hebt vorsichtig mein Kinn, um

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