Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
Vom Netzwerk:
waren.
    Sie hängte ihre Kleider in den Kasten, der die Nummer ihres Schlüssels trug, befestigte den Schlüssel am Träger des Badekleides und suchte das Wasserbecken auf. Der Boden im kleinen Vorraum war kalt und glitschig. Den ganzen Tag waren hier Menschen ein- und ausgegangen, mit und ohne Fußpilz, mit und ohne Fußschweiß. Sie bemühte sich, nicht auszurutschen. Die Hygienevorschriften betrafen ausschließlich die Kopfhaare.
    Eine unbegreifliche Einrichtung.
    Ein älterer Herr war wenige Schritte entfernt stehen geblieben, um sie zu betrachten. Unverhohlen starrte er auf die Rose zwischen ihren Brüsten. Sie schaute zurück.
    Oh ja, auch seine Badehose hatte mal an einem festeren Hintern gesessen. Der Mann wandte sich hastig ab, so als ob er ihren Gedanken gelesen hätte.
    Am Beckenrand standen männliche und weibliche Körper in einer Reihe vor den Düsen.
    Wir bitten um Ruhe, stand auf grünen Tafeln rund um das Becken. Vergeblich. Denn Brillen und Hörgeräte waren in den Schließfächern zurückgeblieben.
    Nore Brand reihte sich ein.
    Durch den Wasserdampf sah sie ein Paar freundliche Froschaugen. Unter der weichen Nase hing ein sehr langes, schlaffes Kinn. Erschöpft vom vielen Reden.
    Doch die Augen sendeten andere Signale. Von Erschöpfung keine Spur.
    »Das tut gut, nicht wahr?«
    Nore Brand nickte.
    »Sind Sie zum ersten Mal hier?«
    Sie nickte wieder.
    »Sind Sie auch im Grandhotel?«
    »Ich habe ein Zimmer, unten im Dorf.«
    »Aha«, erwiderte die Frau. Das Belvedere kann sich natürlich auch nicht jeder leisten, sagte ihr Gesichtsausdruck.
    »Ich komme seit Jahren immer wieder ins Belvedere. Nirgends kann ich mich so gut erholen. Diese Berge und diese Luft.«
    Nore Brand sah durch die Fensterwand auf das Panorama. Sie hörte die unangenehme Stimme von Doktor Fischer. »Als letzter Anblick diese Berge.«
    In den hohen Laubbäumen des Parks leuchteten Äste in herbstlichen Tönen. Darüber erhob sich der hohe Horizont. Berghänge, begrünte und bewaldete Hügel führten ihren Blick ans Ende des Tals zu den grauen, kahlen Wänden der Riesenkegel. »Sie haben vielleicht noch gar nichts vom Unfall gehört, der sich letzte Woche ereignet hat«, ertönte die Stimme der Frau über dem Wassergeplätscher.
    Nore Brand legte die Stirn fragend in Falten. Das würde genügen.
    Es genügte.
    Die Frau nickte. »Schrecklich. Die arme Frau.«
    Der schrille Klingelton trieb die Reihe weiter.
    »Frau Ehrsam, sie war eine Millionärin, aus Basel. Sie ist im See ertrunken, letzten Samstagmorgen, ganz früh«, erklärte sie und beobachtete mit ihren neugierigen Froschaugen, welche Wirkung ihre Nachricht auf die neue Bekanntschaft hatte.
    Sie schien zufrieden.
    »Schlimm«, sagte Nore Brand.
    »Ja«, bestätigte die Frau, »schlimm.«
    Sie hing am Beckenrand und schaute Nore Brand an. »Sie war immer sehr beschäftigt. Sie legte Patiencen. Im Aufenthaltsraum. Sie war etwas hochnäsig. Sie las immer Zeitungen. Deutsche und so ausländische«, fügte sie missbilligend hinzu. »Das würde ja kein Mensch glauben, aber mein Zimmermädchen sagte, dass Frau Ehrsam nie bezahlte. Sie sei schon immer ein besonderer Gast des Hauses gewesen. Warum ausgerechnet eine Millionärin hier gratis kuren darf, das müsste man mir einmal genau erklären.«
    Nore Brand horchte auf. Davon hatte der Direktor nichts gesagt.
    »Wie alt war sie denn?«
    »Über 80, gegen die 90, vermute ich.«
    »Na, ja, in dem Alter«, sinnierte Nore Brand und dehnte ihre Glieder im warmen Wasser.
    »Aber einfach so ins Wasser fallen, am frühen Morgen?« Die Frau machte unvermittelt ein paar hüpfende Bewegungen. Das Wasser spritzte ihr dabei ins Gesicht. Einen Augenblick rang sie nach Luft. »Oh, wunderbar, das geht schon wieder und es tut nicht weh«, frohlockte sie hustend und hob ein Bein aus dem Wasser. »Du lieber Himmel, auch das geht wieder.« Die Froschaugen leuchteten. »Ich kann wieder tanzen. Cancan!«
    »Eine kleine Schwäche in diesem Alter ist keine Seltenheit.« Nore Brand musste sie beim Thema halten.
    »Aber man sagt doch, dass die Alten am Morgen immer noch am frischesten sind. Und wer sich nicht gut fühlt, spaziert doch nicht einfach auf so einen Steg hinaus.«
    »Vielleicht hat sie jemand ins Wasser gestoßen«, sagte Nore Brand beiläufig.
    Die Frau riss die Augen entsetzt auf. »Was sagen Sie da«, flüsterte sie entsetzt, »Mord? Nein. Das kann nicht sein. Hier sicher nicht.«
    »Warum ausgerechnet hier nicht? Millionärinnen leben

Weitere Kostenlose Bücher