Matrjoschka-Jagd
an.«
Nore Brand blieb verblüfft stehen und schaute auf den runden Kopf herunter. Er umklammerte den Stift so fest, dass die Finger weiß wurden.
Das geht dich nichts an.
Das hatte dieser kleine Kerl tatsächlich gesagt.
Immerhin war das sein kindliches Recht.
»Du kannst dir Kaffee machen, wenn du willst«, erklärte er, ohne aufzuschauen. »Die Milch ist im Kühlschrank.«
»Danke«, sagte sie.
Er malte ein Flugzeug.
Sie setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. »Was malst du da?«
»Ein Düsenjäger, FA-18«, erklärte er. ›Du hast sowieso keine Ahnung davon‹, signalisierte sein Ton. »Ein Kampfjet.«
Der Wasserkessel begann zu pfeifen. Sie erhob sich und füllte die Tasse auf. Die Kaffeebüchse stand daneben. Nescafé.
Sie merkte, dass der Kleine sie heimlich beobachtete. Sie setzte sich wieder hin und rührte in der Tasse.
»Warum haben Sie kein Polizeiauto?«, fragte er plötzlich und schaute sie forschend an.
Sie begriff.
Moritz erhob sich und schob ihr einen Zettel hin. »Elsi Klopfenstein, Kiosk beim See. Vielleicht weiß sie etwas. Gruß, Bucher.«
Bucher hatte angerufen. Woher wusste Bucher, dass sie hier war?
In dem Augenblick ging die Türe auf. Johanna Rieder kam herein. Mit dem knappsten Morgengruß. Ihr Blick war kalt. Immerhin deutete sie ein Nicken an. »Warum haben Sie nicht gesagt, dass Sie von der Polizei sind?«
»Das bedaure ich, wenn das ein Problem ist.«
Ich schlafe als Mensch und nicht als Polizistin. Doch sie ließ es. Sie erhob sich, schüttete die heiße Brühe in den Abguss, spülte die Tasse und trocknete sie. Johanna und Moritz schauten ihr schweigend zu.
Nore Brand holte ihre Tasche. Als sie in die Küche zurückkam, starrten die beiden sie schweigend an.
»Wie viel schulde ich Ihnen?«
»50«, sagte Johanna mit bewegungsloser Miene. Sie hatte sich hinter Moritz gestellt, als ob sie ihn beschützen müsste.
›Die Polizei, dein Freund und Helfer‹, dachte sie, als sie den Geldschein herausholte und ihn Johanna entgegenhielt. Johanna machte keine Bewegung. So legte Nore Brand das Geld auf den Küchentisch, neben den FA-18 von Moritz, den Kampfjet.
»Was ist eigentlich los hier?«, fragte Johanna unvermittelt. »Kommt Bucher nicht mehr allein zurecht?«
»In diesem Fall genügt einer allein offenbar nicht.«
Sie sah, wie Johanna den Mund nochmals öffnete, ihn aber gleich wieder schloss.
Bevor Nore Brand in die kalte Morgenluft hinaustrat, wünschte sie ihr einen erfolgreichen Tag an der Viehschau.
Sie warf keinen Blick in den Rückspiegel, als sie wegfuhr. Es gab hier einige Leute, die keine Polizei wollten. Bucher wusste das und zog es vor, sich nicht einzumischen. Das überließ er seiner Kollegin aus Bern.
Der Tag hatte unerfreulich begonnen. Richtig schlimm war nur der Kaffee gewesen. Nescafé. Das andere kam immer wieder mal vor.
DAS TOTENSEELEIN
Nore Brand fuhr ins Dorfzentrum zurück.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, Jelena Petrovic zu besuchen. Vielleicht erinnerte sie sich an weitere Dinge, Kleinigkeiten, die hilfreich waren. Vielleicht hatte sie einen Blick auf den Briefumschlag geworfen, einen Namen gelesen, eine Postleitzahl gesehen.
Doch nun hatte sich Bucher eingeschaltet. Er schickte sie zu Elsi Klopfenstein.
Dass dieser Kerl gewusst hatte, wo sie übernachtete. War das erstaunlich? Der Ort war klein und überschaubar. Hier schienen alle bestens informiert. An diesen Gedanken musste sie sich zuerst gewöhnen.
Sie ließ den Wagen an der Hauptstraße stehen und spazierte zum See.
Die verwitterte Bretterbude von Elsi Klopfenstein war noch geschlossen. ›Die Saison wird um eine Woche verlängert. Ich freue mich, Sie weiterhin bedienen zu können. Wichtig: Morgen wieder Zwetschgenkuchen‹, stand da in großen, etwas ungelenken Buchstaben. Darunter die Unterschrift und das Datum vom vorigen Tag.
Nore Brand ging weiter. Bäume und Gebüsch säumten den Weg. Vom Steg aus war der Blick zum Holzhäuschen von Elsi Klopfenstein nicht frei. Auch wenn sie früh da gewesen wäre, hätte sie nicht erkennen können, was Frau Ehrsam an ihrem letzten Morgen zugestoßen war.
Nore Brand suchte den Boden nochmals ab. Nein, sie hatte nichts Wichtiges übersehen. Nur ein paar neue Fußabdrücke waren dazugekommen.
Der Schreiner hatte die Brüstung inzwischen repariert.
Nore Brand kletterte vom Steg. Fünf Schritte, dann stand sie direkt am Wasser. Ein Stockentenpaar schwamm aufgeschreckt davon.
Hier ertrank niemand einfach so.
Das war
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