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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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vermutlich überall gefährlicher als wir.«
    Die Frau mit den Froschaugen geriet ins Grübeln.
    Plötzlich näherte sie sich mit einer heftigen Bewegung.
    »Schauen Sie«, raunte sie Nore Brand zu, »das ist die Russin, sie war früher einmal Primaballerina im Bolschoi. Mein Zimmermädchen weiß alles, was hier läuft. Diese Primaballerina sammelt Geld für ein Waisenhaus in Moskau. Rührend, nicht wahr?«
    Nore Brand folgte ihren Augen. Dann sah sie die Ballerina. Bei der Treppe stand sie, eine auffallende Frau, der mädchenhafte Körper passte nicht zum erwachsenen Gesicht. Eine Weile schaute sie unentschlossen ins Wasser, dann setzte sie sich langsam in Bewegung.
    »Sie hatte Probleme mit den Knien, deshalb musste sie aufhören.« Sie hob ihr Bein aus dem Wasser und deutete auf ihr knochiges Knie. »Das habe ich auch, obwohl ich nie im Bolschoi getanzt habe«, kicherte sie.
    »Man sagt, ihr Mann werde auch kommen. Ein richtiger Schiwago. Sie belegt natürlich die große Suite. Aber es geht ihr deswegen nicht besser. Mein Zimmermädchen räumt auch bei ihr auf. Die sei ganz anders als die russischen Touristen, die man kennt. Immer aufgeräumt, immer ordentlich und gar nicht verschwenderisch. Geizig sei sie, sagte mein Zimmermädchen. Aber eben, bei den Reichen lernt man sparen, sagte meine Mutter immer. Da hatte sie wohl recht.«
    Die Froschaugen blieben an der Russin hängen, die nun zögernd ins Wasser stieg. »Vielleicht sollte sie mal ein billigeres Zimmer versuchen«, spotteten die Froschaugen. »Arme werden schneller gesund. Aber diese Millionäre aus dem Osten. Wer hätte das gedacht. Da hört man ein Leben lang, dass die Menschen im Osten nur darben. Die Wirtschaft sei am Boden. Aber jetzt, wo die Kommunisten das Weite gesucht haben, soll alles anders sein. Heute geben die Russen das Geld mit vollen Händen aus. Wo sie das wohl so plötzlich gefunden haben?«
    Nore Brand hörte nicht mehr hin. Ihre Augen waren an der Gestalt der Russin hängen geblieben. Nore Brand dachte an den Mord im Schauspielhaus; er lag einige Jahre zurück. Sie erinnerte sich an ihren Schreck, als sie einer Gruppe dieser fleischlosen Frauen gegenüberstand. Aber diese Frau hier erschreckte sie nicht. Im Gegenteil. Sie wirkte hilflos und verloren, wie sie mit kindlichen Bewegungen ins Wasser tappte. Eine ausgehungerte Lolita.
    Bei der letzten Düse nickte sie den Froschaugen ein letztes Mal zu, wünschte ihr einen schönen Aufenthalt und schwamm mit langsamen Bewegungen auf die russische Tänzerin zu. Auf ihrer Höhe angekommen, schaute sie beiläufig in ihre Richtung. Eine, die das Futter schlecht verwertet, würde Onkel Tierarzt sagen.
    Nore Brand wandte sich ab und stieg aus dem warmen Wasser.
    Nore Brand, dem Bade entsteigend. Sie versuchte, sich an die Namen der griechischen Göttinnen zu erinnern, die immerzu dem Bade entstiegen. Doch vergeblich, diese Sache hatte Frau Bütikofer, ihre Geschichtslehrerin, nicht gründlich genug gemacht.
    Der junge Bademeister riss sie aus ihren Gedanken. Als er sah, dass sie im Begriff war, das Wasser zu verlassen, eilte er auf sie zu, um ihr ein vorgewärmtes Tuch um die Schultern zu legen.
    »Sie müssen sich erholen, Madame, für das erste Mal waren Sie zu lange im Wasser. Das ist sehr schlecht für den Kreislauf«, erklärte er mit treuem Hundeblick.
    Aber ich bin noch keine 90, du Jungspund, nicht einmal halb so viel, dachte Nore Brand verärgert.
    Kaum hatte sie sich im Ruheraum hingelegt, schlief sie ein.
    Als sie am nächsten Morgen im Haus von Johanna Rieder erwachte, kurz vor sechs, so wie jeden Tag, erinnerte sie sich kaum mehr an den Vorabend. Außer dass sie im Kurbad gewesen war.
    Sie war immer noch angekleidet. Sie lag in einem Teenagerzimmer. Die Wände über und über beklebt mit Bildern von Popstars und Pferden. Das aufgemalte rote Herz mit dem Liebespfeil auf der noch unbehaarten Brust eines strahlenden Popidols zeugte von der Macht einer schwärmerischen Liebe.
    Das Zimmer war klein. Zwei größere Schritte und sie war bei der Tür. Von unten drang ein schwacher Lichtschimmer herauf. Rasch fuhr sie sich durch das Haar. Sie zog die Zimmertür hinter sich zu, machte Licht im Treppenhaus und stieg die Treppe hinab. In der Küche saß Moritz am Tisch und zeichnete. Er schaute sie kurz an, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Zeichnung.
    »Guten Morgen, Moritz«, begrüßte sie ihn.
    »Morgen«, antwortete er knapp.
    »Hast du gut geschlafen?«
    »Das geht dich nichts

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