Matrjoschka-Jagd
halb fünf enden.
Elsi Klopfenstein erzählte ausführlich, ohne Eile.
Vor 37 Jahren hatte sie diese Holztafel beschriftet und seither an jedem 20. Oktober hervorgeholt. Nur einmal hatte sie darüber nachgedacht, wie die Tafel aussehen würde, wenn da ein anderer Name draufstünde. Moser. So hatte er geheißen. Aber besser als Klopfenstein klang das nicht, überhaupt nicht. Dieser Gedanke wühlte sie dermaßen auf, dass sie sich augenblicklich hinsetzte und ihrem Verehrer einen Abschiedsbrief schrieb, bevor dieser zur Tat schreiten und ihr seine Liebe gestehen konnte.
Dieser dramatische Einschnitt in ihre Lebensgeschichte hatte ihr nach einem endlosen Winter und einem regnerischen Frühling gedroht, als das Dach plötzlich undicht geworden war und als Folge davon der Regen auf ihren frischen Zwetschgenkuchen tropfte. Da musste auf der Stelle ein Handwerker her. Paul Moser von der großen Dorfschreinerei war es. Er kam und wollte gleich bleiben, denn es gefiel ihm überaus gut hier draußen. Auch Elsi schien ihm recht zu sein; während er sich auf dem kaputten Dach zu schaffen machte, flickte und hämmerte, zwinkerte er ihr vom Dach herunter zu und machte, mit blinkenden Nägeln zwischen den Zähnen, Vorschläge, wie sie den Umsatz steigern könnte. Mit Bier, Schnaps und Wein. Dann würde das Geld vielleicht auch für zwei reichen. Dazu lachte er laut und schaute sie länger an, als ihr angenehm war. Doch als das Dach repariert war, schrieb Elsi Klopfenstein mit heftigem Herzklopfen den wichtigsten Brief ihres Lebens. Sie komme sehr gut allein zurecht, außerdem würde es zu zweit doch unangenehm eng werden in der Bretterbude. Natürlich danke sie für die solide Ausbesserung des Dachs. Hätte sie schreiben sollen, dass er ihr zu unschön war? Nein, so etwas tat man nicht. Es blieb ihr doch noch etwas Zeit, um auf einen Schöneren zu warten. Aber die Jahre vergingen schneller, als sie voraussehen konnte und ein schönerer Mann blieb leider aus – vom Kurhotel kamen nur alte, lahme und gichtige –, und so hing in jedem Winter dieselbe Holztafel an der verschlossenen Tür mit ihrer schiefen Unterschrift: Elsi Klopfenstein.
Das war ihr im Grunde nicht unrecht so. Wenn sie sich in ihrer Umgebung umschaute, dann war nicht immer nur lustig, was die Männer im Leben einer Frau so alles anrichteten.
An Paul Moser erinnerte sie nur hin und wieder die Tatsache, dass sie nun Schnaps anbot. Im Tee, im Kaffee oder einfach so, rein, mit nichts und so war er ihr mittlerweile sogar am liebsten. Für etwas hatte sich diese Sache, die ja eigentlich fast eine Art Liebschaft gewesen war, also doch gelohnt.
Elsi Klopfenstein erinnerte sich natürlich sehr genau an jenen Morgen, als man die Leiche von Frau Ehrsam fand. Ja, Frau Ehrsam trank ihren Kaffee mit viel Milch und zwei gehäuften Löffeln Zucker und im Herbst bestellte sie immer ein großes Stück Zwetschgenkuchen dazu. Trotzdem war diese Frau all die Jahre gertenschlank geblieben, bis ins hohe Alter. Die hatte sicher ein Geheimnis. Oh ja, die hatte zweifellos das eine oder andere Geheimnis gehütet in ihrem Leben.
Elsi Klopfenstein stieß einen Seufzer aus. An jenem Tag hatte sie keinen Zwetschgenkuchen mitgebracht. Frau Ehrsam kam nicht jeden Tag. Außerdem war ihr der Schlagrahm am Vorabend ausgegangen und für den letzten Tag kaufte sie aus Prinzip nichts Frisches. Das Zeug konnte man ja nicht für den nächsten Frühling auf die Seite legen; also hatte sie es gleich bleiben lassen. Man musste ja nicht gleich jedes Maß verlieren und wegwerfen war ihre Sache nicht. Es hatte auch nicht mit Geiz zu tun, ganz und gar nicht, es war nichts als gesunder Menschenverstand und den hatte man ihr von klein auf tüchtig eingebläut. Wer Nahrung wegwarf, wurde bestraft, mit einer schallenden Ohrfeige, sodass die Wangen so lange feuerten, bis die Botschaft tief und unvergänglich ins Bewußtsein eingebrannt war.
Nein, Elsi Klopfenstein hatte kein schlechtes Leben, doch es wäre viel erträglicher gewesen, wenn die Hüftgelenke noch eine Weile mitgemacht hätten. Ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Urgroßmutter hatten dasselbe Leiden gehabt und sie waren trotzdem steinalt geworden dabei. Die Aussicht auf ein langes Alter ließ sie laut aufseufzen. Vielleicht mutete sie sich doch etwas viel zu, jedes Jahr während der langen Saison am See draußen, von morgens früh bis abends spät. Man war auch nicht mehr die Jüngste. 68. Andere setzten sich in diesem Alter zur Ruhe und
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