Matrjoschka-Jagd

wollte.
    »Sie sagte immer packen, packen, packen. Aber ich konnte nicht immer nur bei ihr sein.«
    »Wie war Frau Ehrsam?«
    Sie dachte einen Moment nach, wobei sie die Nase leicht rümpfte. »Für uns war Frau Ehrsam immer Chef, mehr Chef als Hotelchef«, lächelte sie entschuldigend, »sie war nicht böse, aber immer Chef. Aber«, sie brach ab und suchte nach Worten, »Frau Ehrsam war wie eine Großmutter für Jelena. Am Montag musste Jelena auf die Post für Frau Ehrsam. Ganz schnell. Ich habe rasch gearbeitet, damit sie gehen kann.«
    »Auf die Post?«
    »Ja, einen Brief bringen.«
    »Hat sie gesagt, für wen dieser Brief war?«
    Frau Lopez schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Ist Ihnen aufgefallen, dass die Uhr von Frau Ehrsam verschwunden war?«
    »Die teure Uhr? Verschwunden?«
    »Es sieht so aus.«
    Nore Brand hielt ihr die Schale mit den Pralinen hin. »Hier. Nehmen Sie.«
    Frau Lopez lächelte dankbar, warf einen Blick auf ihre rundlichen Hüften, griff aber nach der dicksten Praline. »Die sind aber nur für Gäste von Hotel.«
    »Dann nehmen Sie alle«, forderte Nore Brand sie auf.
    Frau Lopez zögerte keinen Augenblick.
    Als sie wieder allein war, riss Nore Brand das Fenster auf.
    Wo blieb Nino Zoppa?
    Es regnete wieder. Die schmutziggrauen Wolken hingen tief ins Tal herunter.
    Jelena Petrovic war die Schlüsselfigur, aber wusste sie das auch?
    In diesem Moment wurde die Türe aufgerissen.
    Nino Zoppa stand im Türrahmen.
    Sein Gesicht war kreidebleich. »Jelena …«, begann er.
    Nore Brand schnellte vom Stuhl hoch, packte ihn am Arm und riss ihn wortlos hinter sich her durch die Empfangshalle. Viktor Heller, der eben mit einer älteren Dame beschäftigt war, schaute den beiden völlig entgeistert hinterher. Sie eilten durch den Regen auf den Parkplatz hinaus. Nore Brand fluchte, der Motor ließ sich Zeit. Wie immer, wenn es eilte.
    »Diese blöde Mühle. Wo ist Jelena?«
    Nino Zoppa holte tief Luft. »Sie muss heute Morgen losgefahren sein.« Er flüsterte mehr, als dass er sprach. »Sie hatte ja frei. Man hat den Wagen auf dem Bahngleis bei Därstetten gefunden.«
    Nino liefen die Tränen über die Wangen. Sie fuhren los. Der Regen klatschte gegen die Frontscheibe. »Ich habe die Spurensicherung angerufen. Sie schicken Klaus Zinnstag. Er hatte in Interlaken zu tun. Er sollte unterwegs sein, aber Jelena ist tot«, sagte er mit erstickter Stimme.
    Nore Brand atmete auf.
    Klaus Zinnstag. Alle nannten ihn Bruder Klaus, weil er immer sehr ernst, geradezu feierlich aussah. Aber alle mochten ihn.
    »Ich habe mich von Bucher ablenken lassen. Verdammt noch mal, das hätte nicht geschehen dürfen.« Sie schlug wütend auf das Steuerrad.
    »Wenn ich nicht die ganze Nacht geflippert hätte.«
    »Auch das hätte nichts genützt.«
    Das war herzlos, aber es traf zu.
    Wäre sie doch zuerst, aber nein, es war nun mal so und nicht anders.
    Sie drückte wütend das Gaspedal durch. »Der Kerl kann etwas erleben.«

     

DIE ZWEITE TOTE
    Bucher fuhr aus seinem Stuhl hoch, als Nore Brand plötzlich im Türrahmen stand.
    »Es ist in der Kurve unterhalb von Därstetten passiert. Diesen Leuten sollte man den Fahrausweis entziehen«, schrie er zornig, »ich habe die Nase gestrichen voll. Unfälle hat nur, wer zu viel säuft oder nicht fahren kann.« Buchers Gesicht war ziegelrot vor Wut. »Die Frau ist tot, weil sie nicht fahren konnte. Sie lag auf dem Bahngleis. Tot. Herrgottnocheinmal. Die Ambulanz war natürlich zu spät. Warum können die Leute heutzutage nicht mehr richtig Auto fahren. Und der Assistent heult. Das ist doch nicht zu fassen. Früher …«
    »Ich habe die Spurensicherung informiert«, schrie Nino Zoppa zurück.
    »Die Spurensicherung?«, japste Bucher. »Wozu die Spurensicherung? Das ist doch ein klarer Fall.«
    Nore Brand zog die Luft tief ein. »Bucher«, begann sie. Ihre Stimme drohte zu versagen, »Sie sind einfach ein Riesen …« Mitten im Wort versagte ihre Stimme.
    »Wir gehen«, sagte sie tonlos und zog Nino aus Buchers Büro. Dann knallte die Tür hinter ihnen zu.
    »Jetzt sind wir …«
    »Mitten in der Scheiße, oder?« Nino Zoppa wandte ihr sein nasses Gesicht zu. Sein Grinsen missriet kläglich. »Bucher, Sie sind ein Riesen …«, murmelte er, »Riesenarschloch wollten Sie sagen. Das war so cool.«
    »Nichts habe ich gesagt«, wehrte sich Nore Brand erschrocken, »Riesenidiot wollte ich sagen. Oder Riesenhornochse oder so etwas. Riesendepp.«
    »Nicht einmal richtig lügen können Sie. Was