Matrjoschka-Jagd
Bardame verliebt und nun schickt er immer vor Weihnachten eine Flasche Speyburn. ›Für die Bardame meiner Träume‹, schreibt er jedes Mal dazu. Er ist älter geworden und Ski fahren liegt nicht mehr drin. Die Bardame ist längst nicht mehr bei uns. Aber saufen kann ich auch selbst.« Die Wirtin schaute vor sich auf die Theke nieder. »Es gibt sie noch, die Treuen, nicht wahr?«
Nore Brand lächelte ihr zu. »Hoffen wir mal.«
»Hoffen, ja, hoffen ist immer gut«, wiederholte die Wirtin und ließ ein kehliges Lachen ertönen.
Diese Frau musste einmal hübsch gewesen sein. Alles wischten die vielen Jahre nicht weg.
»Die Hoffnung ist immer das Letzte, was der Mensch wegschmeißt«, sagte die Bardame und steckte sich mit einer unnachahmlichen Geste die Zigarette an. Wie eine Diva in einem alten französischen Film. Dabei schaute sie die Kommissarin prüfend an und schob ihr das Glas zu.
»Ich lade Sie ein. Sie sind schließlich zum ersten Mal Gast in unserem Haus. Ich könnte wetten, dass Sie von sich aus nicht hier ein Zimmer genommen hätten. Für eine Frau wie Sie sind wir doch etwas heruntergekommen. Ich täusche mich doch nicht, oder?«
Nore Brand schwieg. Diese Frau war bereits benebelt vom Alkohol, aber sie machte sich auch so nichts vor.
»Das soll kein Vorwurf sein. Wenn Sie erlauben, trinke ich ein wenig mit.« Sie nahm ihr Glas auf und lehnte sich über die Theke. »Nino Zoppa ist ein netter Kerl. Sie seien eine gute Polizistin, die beste, die er kenne. Das hat er gestern Abend erzählt. Stur wie ein Esel, aber schwer in Ordnung, sagte er.«
›Stur wie ein Esel!‹ Das amüsierte sie. Er war nicht der erste Mensch, der so von ihr dachte. »Er kennt ja nicht viele andere.«
»Was wissen Sie schon? Ich an Ihrer Stelle wäre stolz auf so ein Kompliment. Die Jungen meckern und motzen doch sonst lieber den ganzen Tag herum.«
»Nach einem Bier oder zwei sagt man allerhand«, erwiderte Nore Brand.
»Aber man kommt auch zum Wesentlichen.«
Nore Brand schaute der Wirtin zu, wie sie die Flasche wieder verschloss. In ihrem Glas war Whisky für dreimal Silvester.
Die Wirtin hob das Glas. »Tun wir so, als ob heute Silvester wäre.« Sie setzte das Glas an und trank die goldene Flüssigkeit wie Wasser. »Wissen Sie, dass Sie dabei sind, in ein gigantisches Wespennest zu stechen?«
Nore Brand hob ihren Blick. »Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß nichts Genaues. Mein Mann und ich gehören längst nicht mehr dazu. Zum Dorfleben, meine ich. Wir werden auch nicht hier bleiben, bis wir sterben. Das hoffe ich wenigstens.« Sie lachte kurz auf. »Ich erzähle Unsinn, das sagt mein Mann jedenfalls immer.« Ihr Gesicht wurde mit einem Schlag ernst. »Ich weiß nichts, aber die Kulisse vom Belvedere ist so schön, dass ganz bestimmt ein riesengroßer Haufen Dreck dahinter ist.«
Die Wirtin schaute bedauernd in ihr leeres Glas. »Es gab eine Zeit, da verfluchte ich meinen Mann, weil er immer alleine wirtschaften wollte. Wir haben keinen Dreck am Stecken, aber auch sonst nichts. Kein Geld, kein Erspartes«, sie hob den Blick an die dunkelbraune Decke, »und diese Hütte da fällt uns nächstens über dem Kopf zusammen. Das Beste daran ist der Standort. Und wenn das Saanenland«, sie deutete mit dem Kinn nach Westen, »ausverkauft ist, dann werden die Preise bei uns auch steigen. Hoffentlich leben wir so lange.«
Nore Brand trank langsam; sie spürte die Flüssigkeit, wie sie brennend den Weg in ihre Mitte fand. »Die Russen-Mafia?«
Die Ketten klingelten plötzlich ganz aufgeregt. »Ich weiß nicht, welche Mafia. Russen, Schweizer, Türken, Italiener. Sind doch alle gleich, oder? Einigen Leuten geht es plötzlich gut in diesem Dorf. Sie werden zwar gehasst, aber das kümmert die nicht. Die Geldquellen sind unbekannt. Das ist schon eine Weile so. Früher kam Bucher manchmal noch zu uns. Er machte immer Andeutungen, wenn er etwas getrunken hatte. Der Kerl war trinkfest, sag ich Ihnen. Er weiß manches oder vermutet zumindest einiges. Dass er seine Pflicht vernachlässigt, wissen alle. Er selber auch. Das macht ihn fix und fertig. Bucher ist nicht aus Stein. Im Gegenteil. Seine Frau hatte Schwierigkeiten, musste wiederholt in die Psychiatrische. Das hat ihm zugesetzt. Plötzlich ist ihm alles über den Kopf gewachsen. Darum hat er Sie gerufen. Er hat Angst. Ich habe mich immer gefragt, wie lange er es noch aushält. Und nun kann er nicht mehr weg, es ist zu spät für ihn.« Sie ließ ihren Blick wehmütig über
Weitere Kostenlose Bücher