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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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dass sie nicht mehr gebraucht wurde, schob sie sich mit kleinen, hastigen Schritten vorbei.
    Der Direktor legte die Hand auf die Türklinke, die sofort nachgab. Er warf Nore Brand einen Seitenblick zu und schob die Tür auf.
    Er ging ohne zu zögern hinein, auch dieses Zimmer war sein Revier. Auch hier war er der Platzhirsch. Die Zurückhaltung soeben war gut gespielt gewesen. Nore Brand blieb auf der Schwelle stehen. Das Zimmer war nicht viel größer als eine Zelle. Dreimal so tief wie breit. Die beiden Betten standen mit den Fußenden gegeneinander an der rechten Wand. Ein schmaler Schrank trennte sie voneinander. Der Tür gegenüber zeigte ein Fenster auf den dunklen Tannenwald hinaus. Der Direktor schaute sich um, als ob er etwas Bestimmtes suche. Dann besann er sich.
    »Hier«, sagte er und schob stolz einen Plastikvorhang beiseite, »hier ist das Badezimmer. Die meisten unserer Angestellten sind es nicht gewohnt, im Zimmer fließendes Wasser zu haben, der reinste Luxus für sie.«
    Nore Brand ging an ihm vorbei. Sie schaute sich schweigend um.
    »Auf jeder Etage befinden sich Toilette und Dusche.«
    Ihr Schweigen schien ihn zu irritieren. Sie stellte sich vor das Fenster. So viel Dunkelheit ging von einem Tannenwald aus. Wer in diesem Zimmer lesen wollte, musste Licht haben, auch mitten am Tag.
    Der Direktor räusperte sich. »Selbstverständlich steht den Angestellten ein Aufenthaltsraum zur Verfügung mit Fernseher und Bibliothek.«
    »Selbstverständlich«, murmelte Nore Brand. Sie drehte sich um. Ihr Blick glitt über die Wände. Die Wand beim Fenster war leer. Über dem Bett, das bei der Türe stand, hing eine Kollektion von Familienfotos, Kinder im Sonntagsstaat, Familienfeste, Schleier und dunkle Anzüge. Ohne Zweifel das Bett von Frau Gomes. Jelena Petrovic hatte beim Fenster geschlafen. Vielleicht hatte sie den Himmel gesehen, wenn sie im Bett lag.
    An einer großen formlosen Tasche entdeckte sie ein Schildchen. ZAGREB stand da. Sie öffnete den Schrank. Links hingen Röcke und Blusen in allen Farben. Frauenkleider in Kindergröße. Das musste Frau Gomes gehören. Im rechten Abteil sah sie ein Arbeitskostüm, schwarzer Rock und weiße Bluse. Jelena Petrovics Arbeitskleidung.
    Über der Kleiderstange war ein schiefes Brett angebracht für Slips, Socken, Büstenhalter. Die beiden Frauen hatten sich den Schrank gerecht aufgeteilt, obwohl die Stapel von Frau Gomes um einiges höher waren und schiefer.
    Der Direktor war bei der Türe stehen geblieben und schaute ihr zu. Er würde sie nicht allein lassen, das war klar. Sie hatte keinen Durchsuchungsbefehl.
    Ganz hinten im Schrank lagen Bücher. Sie zog eines hervor. Ein medizinisches Fachbuch. Englisch.
    Der Direktor stand plötzlich neben ihr. Etwas ging in ihm vor.
    »Sie muss in ihrer Freizeit Fachliteratur studiert haben.«
    »Sie wissen ja jetzt, wie sie ihre Freizeit verbracht hat, diese …«, er brach ab, um gleich weiterzureden. »Medizinstudentin. Das kann jede sagen. Vielleicht gehörte auch sie zu diesen Verbrecherbanden aus dem Osten, die unsere ganze Umgebung unsicher machen. Bisher haben sie ihre Beute in den Wäldern versteckt, so stand es in der Zeitung.« Er tastete das Brett ab, durchwühlte die Kleider und warf die Schranktür wütend zu, als er nichts fand. Er schaute sich wieder im Zimmer um, war mit einem Schritt beim Bett, hob die Matratze auf, tastete die Bettdecke ab, riss die Schubladen einer Kommode auf und warf den Inhalt auf das Bett. Es war wenig. Einige Quittungen, drei Lippenstifte, ein englisches Taschenbuch, zwei Kugelschreiber, Briefumschläge, einen Bleistiftstummel und eine Packung Papiertaschentücher.
    Der Direktor hielt inne und richtete sich auf. »Manchmal habe ich einfach die Nase voll von diesem Gesindel.«
    Als sie zur Kontrolle nochmals mit der Handfläche die leere Brettseite abtastete, sie war über ihrer Augenhöhe angebracht, stießen ihre Finger auf etwas. Nore Brand zog einen Briefumschlag hervor. Er war schwer und unförmig.
    Nore Brand riss ihn auf und warf einen Blick hinein.
    Eine Uhr.
    Die Uhr?
    Sie ließ sie vorsichtig auf die Kommode gleiten.
    Sofort war er an ihrer Seite. »Die Uhr«, stieß er hervor. Er streckte seine Hand nach dem Schmuckstück aus.
    »Halt«, sagte sie und schob seinen Arm weg. »Wollen Sie, dass man Ihre Fingerabdrücke darauf findet?«
    Rasch zog er die Hand zurück. »Nein«, stammelte er, »nein, natürlich nicht.«
    Er starrte die Uhr eine Weile sprachlos an. »Diese

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