Matrjoschka-Jagd
Boulevard-Zeitung, die auf ihrem Schoß lag. »Sie schreiben über Diebesbanden, die überall ihr Unwesen treiben. Die stehlen alles, von der Zahnbürste bis zum Tresor. Wie wäre es, wenn Sie auch diesen Leuten mal auf die langen Finger klopfen würden?«
Nore Brand warf einen Blick auf die Schlagzeile. Der Direktor hatte heute vermutlich dieselbe Zeitung gelesen.
Elsi Klopfenstein biss in ihr Schinkenbrot. »Gesindel aus dem Osten«, sagte sie kauend. »Im Osten scheint es entweder Gesindel zu geben oder Millionäre. Aber nichts Normales.«
Nore Brand holte einen trockenen Stuhl und setzte sich zu Elsi Klopfenstein. In ihrer Nähe roch es nach Schinken mit scharfem Senf.
Elsi Klopfenstein warf ihr einen missmutigen Blick zu. »Ich habe Ihnen doch alles gesagt.«
»Ich bin Ihnen dankbar für alles, was Sie gesagt haben«, begann Nore Brand vorsichtig.
Vermutlich hatte Elsi Klopfenstein zu viele Zwetschgenkuchen bestellt und wurde sie nun nicht mehr los.
»Sie haben mir das gesagt, wovon Sie glauben, es könnte die Polizei interessieren.«
»Natürlich habe ich das«, erwiderte Elsi Klopfenstein. Sie kaute heftig weiter.
»Manchmal sind es kleine, unscheinbare Dinge, die uns weiterhelfen, irgendeine Bemerkung, die unwichtig scheint.«
»Das haben Sie mir bereits einmal gesagt. Ich bin doch nicht taub.«
Nore Brand überging diese Bemerkung. »Meistens übersieht man etwas und wird dann bestraft dafür. Ich kenne das nur zu gut. Trotzdem passiert mir das immer wieder. Ich kehre immer wieder an bedeutsame Orte zurück und spreche mit den wichtigen Menschen.«
Die letzten drei Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die meisten Menschen waren bei aller Kompliziertheit immer wieder überraschend einfach zu handhaben.
»Hm«, brummte Elsi Klopfenstein. »Die Petrovic ist tot, habe ich gehört. Ich würde mit meinem Kiosk besser nach Därstetten ziehen, in die Kurve dort, um meine Ladung Zwetschgenkuchen loszuwerden.« Sie schwieg einen Moment. »Aber da ist noch etwas. Der Mann, der die Leiche von Frau Ehrsam entdeckt hat, war wieder da. Der geht immer den großen Fischreiher beobachten. Nimmt mich wunder, was daran so spannend ist. Er hat mir versprochen, dass er sich bei Ihnen melden wird.«
Nore Brand fuhr hoch. »Und wann das?«
»Das weiß ich nicht. Aber er wird es tun. Wenn er Zeit hat eben.«
»Wie heißt dieser Mann?«
»Das gehe mich gar nichts an, meinte er.«
Die Wolken zogen sich wieder über die Berge zurück.
»Gestern habe ich über den Tod nachgedacht. Er kann nicht plötzlich kommen. Er kommt langsam, so langsam, dass man sich immer weniger fürchtet. Denken Sie manchmal an den Tod? An Ihren Tod?«
»Nein.« Nore Brand war überrascht. »Warum auch?«
»Letzthin sagte Frau Ehrsam einmal, dass sie nicht mehr hierher kommen werde. Sie habe ihre Arbeit bald erledigt.« Elsi Klopfenstein rückte sich in ihrem Stuhl zurecht. »Ich frage mich, was sie damit meinte. ›Arbeit‹, sagte sie. Sie kam doch zur Kur. Aber vielleicht bedeutete das für sie Arbeit. Dabei war sie früher immer so gerne gekommen. Das habe ich mehr als einmal gehört von ihr. Frau Ehrsam würde nicht so rasch eine Gewohnheit aufgeben. Sie muss gewusst haben, dass ihr Leben zu Ende geht.«
»Wäre es möglich, dass ihr das Hotel oder dieser Ort nicht mehr passten?«
Elsi Klopfenstein nickte. »Im Hotel hat es ihr gar nicht mehr so gut gefallen, glaube ich. Aber hier draußen war sie gerne. Sie liebte diesen Ort hier. Sie kannte sich so gut aus. Als sie noch rüstig war, ging sie oft wandern, bis weit hinauf. Später ging sie nur noch bis zu den Wasserfällen und in letzter Zeit nur noch bis zum See. Sie kannte jeden Stein hier.«
»Was war denn mit dem Hotel?«
Elsi Klopfenstein überlegte lange. »So richtig geredet haben wir nie. Immer kam wieder jemand und ich musste bedienen. Aber Namen hat sie nie genannt. Da war sie immer hochanständig.«
»Hat der Direktor sie geärgert?«
Elsi Klopfenstein zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie sagte mal etwas von einer Augenoperation und sie wollte unbedingt nach St. Petersburg, zu einer Fossilienausstellung, ich kann mich nicht ganz genau erinnern, aber sie hatte noch etwas Verrücktes vor. Das passte auch zu ihr. Sie tat neuerdings so geheimnisvoll. Man müsse die Kunst dieser Welt retten, sagte sie. Zu viel sei zerstört worden, viel zu viel. Und sie möchte alles tun, damit ein paar Kostbarkeiten für immer und ewig bleiben. Ewig. Aber was an einer
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