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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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des Anwalts wurde lang. »Sie wollen gehen? Jetzt? Aber Sie wissen noch gar nicht alles«, rief er enttäuscht.
    »Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe, Herr Merian«, versicherte sie und streckte die Hand aus.
    »Doktor Merian«, korrigierte er sie empört und übersah ihre Hand. »Sie wissen ja nicht einmal, wer der neue Begünstigte ist«, rief er aus wie ein Kind, dem man das liebste Spielzeug weggenommen hatte.
    Sie zog die Hand zurück und lächelte ihn an. »Vielleicht finde ich auch das selbst heraus.«
    »Suppe, Seife, Seelenheil«, trällerte er mit scharfer Stimme. »Kennen Sie das? Nein«, sagte er mit finsterem Gesicht, »so schlau kann man gar nicht sein.« Er beugte sich über den Tisch ihr entgegen. »Ich werde es Ihnen sagen.« Er senkte vertraulich seine Stimme. »Kleines Geständnis: Sie erinnern mich an eine Frau, die mir vor vielen Jahren einmal gut gefallen hat und«, er wackelte freundlich mit dem Kopf, »und weil es mich freut, Ihnen zu zeigen, was für eine großartige Frau unsere Freundin Ehrsam war. Sie hat sich zwar während ein paar Jährchen ihres Lebens gründlich geirrt, aber sie hat noch rechtzeitig reagiert. Und wie.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Sie haben sie leider nicht kennengelernt, aber ich will Ihnen sagen, wer sie war. Und«, er hob den Zeigefinger dramatisch in die Höhe, »ihr werdet sie erkennen an ihren Taten.« Er wedelte mit dem Brief. »Sie setzt als neue Begünstigte die Heilsarmee ein.« Er ließ sich zurücksinken und schaute sie triumphierend an. »Die Heilsarmee.«
    Sie tat ihm den Gefallen und wiederholte. »Die Heilsarmee?«
    »Und die wissen noch nichts von ihrem Glück«, kicherte er wieder, »sehen Sie, das hätten Sie nie herausgefunden. Klara Ehrsam hat sich einen kleinen Scherz ausgedacht. Sie müssen wissen, dass Klara Ehrsam und ihr verstorbener Mann richtige Spaßvögel sein konnten. Immer für eine Überraschung gut. Aber das Herz auf dem rechten Fleck. Am 24. Dezember, so lange geht das auch nicht mehr, soll der Scheck in einen der Sammeltöpfe geworfen werden.« Sein Gesicht verdüsterte sich plötzlich. »Aber warum ausgerechnet auf dem Berner Waisenhausplatz, das hat sie leider nicht erklärt.«
    Nore Brand lächelte. Die erste große Liebe, der erste Schatz im Leben von Klara Ehrsam. Das war der Grund. Der erste Kuss auf dem Waisenhausplatz. Was sonst.
    »Seltsam«, sagte er nachdenklich vor sich hin, »wird wohl ein sentimentaler Grund sein. Wer weiß das schon. Dieses Geheimnis hat sie mit ins Grab genommen. Klara liebte Geheimnisse.« Er schaute sie mit stechenden Äuglein an. Sein Gesicht rötete sich vor Ärger. »Wenn nur dieser garstige Brunnen nicht dort stehen würde, eine Verschandelung der Stadt. Immerhin war Meret eine Künstlerin. Aber dieser hässliche Brunnen. Was da wohl in sie gefahren war? Komisches Völklein, diese Berner, jetzt haben die noch einen Baldachin oder so einen fliegenden Glasteppich über dem Bahnhofsplatz. Scheint, als ob sie gar nicht schnell genug in der heutigen Zeit ankommen könnten. Aber dass es ausgerechnet ein fliegender Teppich sein musste? Spaßvögel, diese Berner, kaum zu glauben. Aber die Heilsarmee ist und bleibt die Heilsarmee, die tut Gutes, und die wird auch diesen Brunnen und den unbeschreiblichen Baldachin überleben, glauben Sie mir. Eine gütige Idee von Frau Ehrsam, doch nun muss ich mich wirklich verabschieden.« Sie streckte ihm die Hand entgegen, diesmal packte er sie. »Frau Brand«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ich habe Ihnen nichts gesagt, gar nichts.« Er zwinkerte ihr zu.
    »Nein, das haben Sie natürlich nicht. Sie sind sich der Grenzen Ihres Amtes sehr bewusst.« Sie zwinkerte zurück.
    Er kicherte, als er sich umständlich von seinem Sessel erhob. »Es gibt noch Wunder auf dieser Erde. Wer hätte das gedacht«, murmelte er vor sich hin, als er sie zur Tür begleitete.
    Nore Brand fragte sich, worauf sich diese Bemerkung bezog, doch bevor sie die Gelegenheit hatte nachzufragen, hastete Anwalt Merian an ihr vorbei und riss die Türe auf.
    »Elvira«, rief er laut, »Elvira, wo steckst du denn?«
    Elvira stand bei ihrem Tisch. »Ich habe Kaffee geholt. Es ist Zeit für dein Frühstück.« Sie warf einen erbosten Blick auf den Besuch.
    Anwalt Merian kicherte wieder, als er Nore Brand die Hand zum Abschied drückte. »Leider konnte ich ihr nicht helfen. Die nette Frau Brand aus Bern hat den Weg ganz umsonst gemacht. Wir haben uns trotzdem ganz gut unterhalten«,

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