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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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Schalbretter über ihr Schützenloch und zitterten wie zwei verletzte Tiere in dem kalten Wind, der ächzend von Laos herüberwehte. Ab und zu schauderte Jackson von unterdrücktem Schluchzen. Mellas starrte mit seinem noch funktionstüchtigen Auge in die Schwärze und ertrug die Schmerzen in seinem Bein und das Pochen in seinem anderen Auge. Etwas früher hatte er versucht, den Aufdruck auf den C-Ration-Schachteln zu lesen, was mühsam und unangenehm gewesen war. Er tröstete sich mit der Vorstellung, wie er in einer Reklame für Hathaway-Hemden aussehen würde. Dann nahm das in seinem Magen zusammengeballte Gefühl von Angst und Verlust plötzlich überhand, und er wünschte innig, er hätte Shellers Rat befolgt und versucht, das Auge zu retten. Er betete.
    Um 2030 kroch er aus dem Loch, um die Stellungen zu inspizieren. Um 2230 kehrte er, sein Bein nachziehend, zurück. Um 0030 wollte er erneut aufbrechen.
    » Ich gehe, Lieutenant«, sagte Jackson. »Leute wach halten kann ich genauso gut wie Sie.« Mellas widersprach nicht. Das Funkgerät an der Wange, döste er sofort ein. Jackson kroch unter den Schalbrettern hervor in einen kalten Wind. Er konnte spüren, dass die Wolken höher lagen und rasch ostwärts zogen, obwohl er sie nicht sah. Der Dschungel lag nach der wilden Raserei des Vormittags ruhig atmend in der Schwärze. Jackson kam es vor, als ob der Dschungel ausruhte, sich darauf vorbereitete, selbst einen Angriff auf das Matterhorn zu führen, wenn diese zerstörerischen Insekten den Berg verließen, damit er seine Wunden verarzten konnte. Langsam würde der Dschungel den Berg hinaufkriechen, ihn mit neuer grüner Haut überziehen, den frei liegenden Lehm und Fels wieder schützen, den die Hänge hinuntergeworfenen Müll verbergen, den künstlichen Rand der LZ glätten und das Matterhorn wieder runden.
    Jackson hockte da, der verlässlichen, schlafenden Erde nahe, deren heilende Kräfte er spürte. Unerwartet traten ihm Tränen in die Augen. »Hamilton«, flüsterte er. »Es tut mir leid. Scheiße, es tut mir so leid, Mann.« Er weinte jetzt ganz offen. Er wusste, es war albern, laut mit einem Toten zu reden, aber er hatte das Gefühl, sich irgendwie bei Hamilton entschuldigen zu müssen, weil er selbst noch am Leben und so froh darüber war. Hamilton hatte heiraten und Kinder haben wollen. Im Gegensatz zu Jackson würde er das nun nicht mehr.
    Der Weinanfall ging vorüber. Jackson blieb noch ein Weilchen da und spürte den feuchten Wind auf seinem nassen Gesicht. Er wischte es sich mit den Händen ab, die von Schmutz, Austrocknung und Infektionen heiß und rissig waren. Er konnte eine hartnäckige, nagende Angst nicht abschütteln, während er davonrobbte, um die Stellungen zu inspizieren. Irgendetwas zwang ihn, zur verlassenen LZ hinaufzusteigen.
    Als Jackson die Mine auslöste, riss die Explosion Mellas zurück in die Dunkelheit und die Kälte. Zuerst dachte er, es handelte sich um jemanden von der Befehlsstandsgruppe. Dann hörte er Jacksons angsterfüllten, wilden Schrei. »Helft mir! O Gott, helft mir doch! Bitte – Hilfe!«
    Mellas nahm das Funkgerät auf den Rücken, robbte auf Jacksons Stimme zu und flüsterte dabei unentwegt »Nein«. Er erreichte Jackson kurz nach Fredrickson, der Jackson zu Boden drückte und versuchte, dessen Oberschenkel zu fixieren. Jackson brüllte.
    »Helfen Sie mir, ihn unten zu halten, Lieutenant«, sagte Fredrickson. »Verdammt noch mal, Jackson, hör mit dem Gezappel auf.«
    Mellas legte sich auf Jackson schwer atmende Brust und flüsterte: »Das wird schon wieder, Jackson. Das wird schon wieder.«
    »Sheller«, rief Fredrickson dem Senior Squid zu, der schon durch die Schwärze gerobbt kam. »Ich brauche Infusionsflüssigkeit, verdammt noch mal, und irgendwas, womit ich die Arterien abklemmen kann.« Sheller erschien mit einer Infusionsflasche, Schläuchen und seiner übrigen Ausrüstung. Während Fredrickson sich alle Mühe gab, die Blutung zu stillen, schob Sheller einen Katheter in Jacksons Arm und hielt die Flasche mit der Flüssigkeit so hoch in die Luft, wie er konnte. Jackson beruhigte sich, sein Schrecken und seine Angst flauten ab, während die beiden Sanitäter seinen Kreislauf stabilisierten. Mellas blickte auf Jacksons Beine. Fredrickson arbeitete an einem blutigen Brei unterhalb von Jacksons Knien. Füße waren keine zu sehen.
    »Das wird schon wieder, Jackson«, wiederholte Mellas immerzu. »Das wird schon wieder.« Jackson stöhnte und verlor das

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