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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Mörder ist von etlichen rechtschaffenen Männern, die auf Ehre und Gewissen geschworen haben, gerecht zu urteilen, auf zehn Jahre ins Zuchthaus geschickt worden.
    Gut; dort ist besagter Mörder verrückt geworden. Einen Kranken straft man in unserer humanen Zeit nicht mehr. Er wird uns übergeben, wir machen ihn gesund, wenn wir geschickt sind. Gesund!… Sagen wir, wir versuchen, ihn wieder geradezubiegen. Er wird also unserer Gewalt unterstellt, der Gewalt der vielgelästerten Psychiater. Er ist im Gefängnis wirklich verrückt geworden, es ist also nicht mehr nur die Möglichkeit da, daß er verrückt werden könnte… Das Urteil ist kassiert worden… Gut. Wir verlästerten Psychiater halten ihn für sozial gesundet, das heißt, man könnte ihn in Freiheit lassen, die Wahrscheinlichkeit, daß er ein ähnliches Verbrechen begehen würde – in unserem Falle also einen Kindsmord – ist vielleicht, sagen wir, 1 Prozent; aber wir dürfen den Mann nicht entlassen. Wir können einen Antrag auf Entlassung erst dann stellen, wenn die Zeit, die er im Zuchthaus hätte verbringen müssen, abgelaufen ist. Wir müssen ihn so lange behalten. Logisch, nicht wahr?
    Sie werden mir einwenden, Studer…«
    Studer dachte gar nicht daran, etwas einzuwenden. Er hielt noch immer die Armlehnen seines Stuhles umklammert und dachte nur eines: Wann wird das Abrutschen aufhören?… Aber er hielt tapfer aus, er biß die Zähne zusammen, ihm war übel.
    »Sie werden mir einwenden, daß es interessantere Menschen gibt, als zu Zuchthaus verurteilte Kindsmörder. Zugegeben. Wir helfen nicht all denen, die es verdienen. Wir sind nicht daran schuld. Wir tun unser mögliches. Aber die Umstände sind stärker – die Umstände: die Behörden, sollte ich sagen… Sie können mich nicht dafür verantwortlich machen, daß es auf der Welt unlogisch zugeht…
    Nun, ich habe versucht, dem Pieterlen sein Schicksal zu erleichtern. Er durfte zeichnen, ich sprach oft mit ihm, manchmal lud ich ihn zu mir in die Wohnung ein. Ich lieh ihm Bücher. Als er nach Arbeit verlangte – das war vor einem Jahr nach unserem Silvesterball – und er gern zur Malergruppe gehen wollte, gab ich auch dazu meine Einwilligung, obwohl ich wußte, warum er gerade in diese Gruppe verlangte. Er hatte sich verliebt… Der Pieterlen Pierre, das Demonstrationsobjekt. Ja… Und obwohl ich seinen Geschmack nicht billigen konnte, Sie haben ja scheint's die Bekanntschaft der Pflegerin Wasem gemacht, und Sie werden mich verstehen, also, obwohl und obgleich: ich dachte, es wird ihm gut tun, und er desertiert mir nicht wieder in sein finsteres Reich oder inszeniert mir einen seelischen Bergrutsch…
    Es war rührend, das Ganze. Ich wurde natürlich immer auf dem laufenden gehalten. Ordnung muß sein. Der Pfleger der Malergruppe rapportierte brav, die Abteilungsschwester auf dem B drückte beide Augen zu, und das Idyll nahm seinen Fortgang, Sagen Sie mir, warum sollen nicht auch wir einmal ein Idyll in unsern roten Mauern haben? Natürlich, ein paar Leute hatten zu reklamieren: ›Der Laduner unterstützt die Unsittlichkeit‹ und solche Bemerkungen mehr. Es waren die Bornierten, die solche Reden führten, die Stündeler besonders… Am Sonntag durfte der Pieterlen mit einem Pfleger spazierengehen. Ich gab ihm gewöhnlich den Gilgen mit. Den kennen Sie ja, den lustigen rothaarigen…«
    Studers Stimme war ein wenig heiser, als er den Redefluß unterbrach mit einem »Deich woll!«
    Laduner blickte auf seine Armbanduhr.
    »Spät ist es. Wollen wir schlafen gehen?« Er gähnte.
    Studer fragte:
    »Der Pieterlen war wohl eifersüchtig auf den Direktor?«
    »Offenbar… Die Frau des Pieterlen hatte sich von ihm scheiden lassen, während er im Zuchthaus saß. Es war sein erstes Liebeserlebnis seit seiner Krankheit…«
    Wieder das Schweigen. Dann sagte Laduner, ganz nebenbei: »Vielleicht begreifen Sie, warum ich es bis jetzt versäumt habe, den Pieterlen ausschreiben zu lassen. Aber morgen will ich es sicher tun. Morgen? Besser gesagt: Heute… Es ist ein Uhr… Wollen wir die Sitzung aufheben, Studer? Oder wünschen Sie noch etwas?«
    Studer räusperte sich. Es schien ihm, als sei sein Magen noch immer nicht ganz in Ordnung… Das Abrutschen!… Er versuchte, so trocken als möglich zu antworten, aber es gelang ihm nicht ganz:
    »Ja, gern, Herr Doktor… Einen Kirsch…«

Überlegungen
    In seinem Zimmer angekommen, zündete Studer die Stehlampe auf dem Nachttischchen an und setzte sich ans

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