Matto regiert
Zeitverschwendung gewesen wäre, nach einer andern Lösung zu suchen…
Aber wer hatte geschrieen? Der Direktor? Oder sein Angreifer?… Angreifer!… Billige Benennung. Wer konnte sagen, daß es sich um einen Angreifer gehandelt hatte?
Pieterlen hatte an der ›Sichlete‹ Handharpfe gespielt. Pieterlen war mit seiner Handharpfe verschwunden. Pieterlen hatte Grund, den Direktor abzupassen, dachte er doch, seine Entlassung werde durch die Umtriebe des Direktors vereitelt… Dagegen sprach wieder, daß Dr. Laduner in der Heizung niedergeschlagen worden war… Daß Dr. Laduner gewußt hatte, daß der Inhalt der Mappe im Ofen versteckt worden war…
Und das Portefeuille, das man hinter den Büchern in Dr. Laduners Wohnung gefunden hatte, kurz nach Gilgens Besuch? Die Handharpfe!… Studer dachte an die Melodien, die durch die Decke seines Zimmers gesickert waren; dachte an Matto, der aus dem Fenster über seinem Zimmer vorschnellte und zurück…
Und während der Pfleger Knuchel, Dirigent der Randlinger Blasmusik (wenn sie spielte, durfte nicht getanzt werden, wohlgemerkt!), vom Gottesreich und von der Erlösung sprach, denn er hielt Studers Schweigen für eine Zustimmung und hoffte, es werde ihm eine Bekehrung gelingen, dachte Studer so intensiv nach, daß seine Stirnhaut sich runzelte – auch dieses wertete der Pfleger Knuchel als Zeichen einer nachdenklichen Besinnlichkeit…
Um so erstaunter war er, als Studer plötzlich mit kurzem Gruß sich empfahl und eilig davontrabte. Sein Rücken war rund…
Der Gang über Dr. Laduners Wohnung roch nur nach Staub. Der Geruch von Apotheke und Bodenwichse fehlte vollständig. Links eine Reihe Zimmer. Dienstbotenzimmer… Einige Türen waren verschlossen, die letzte nur angelehnt…
Als Studer sie aufstieß, war das erste, was er sah, eine Handharpfe. Dann: auf alten Koffern und Kisten lagen fettige Papiere, Brotresten… jemand mußte ziemlich lange in dem Raum gehaust haben… Wann hatte er ihn verlassen? Studer betastete die Brotresten… Sie waren nicht sehr hart… Gestern?
Und ihm fiel wieder der Einbruchsversuch in der Verwaltung ein, nachdem der Pfleger Gilgen Selbstmord begangen hatte, weil er Angst gehabt hatte, nicht schweigen zu können…
Aber außer dem Pfleger Gilgen war doch noch jemand anders zum Portier gekommen, um etwas zu kaufen… Nicht Stumpen, nicht Rauchzeug… Schokolade!
Die Irma Wasem… Auch sie war in den kritischen fünf Minuten im Mittelbau gewesen… Man mußte die Irma Wasem fragen, ob sie etwas gesehen hatte…
Aber als der Wachtmeister in Laduners Arbeitszimmer die Nummer des Frauen-B eingestellt hatte und sich nach der Pflegerin Irma Wasem erkundigte, hieß es, sie habe heute ihren freien Sonntag und werde vor Abend kaum zurückkommen… Und als die Stimme sich weiter erkundigte, wer denn am Apparat sei, hängte Studer kurzerhand ein… Sie hatten ein schönes Leben, die Jungfern, ständig frei…
Der Nachmittag wurde lang… Dr. Laduner war aufgestanden; mit verbundenem Kopf saß er auf dem Ruhebett im Arbeitszimmer, trank literweise schwarzen Kaffee und begründete diese Beschäftigung mit seinem Kopfweh. Er trug eine dicke Bandage um die Stirn und den Hinterkopf.
Aber auf alle Fragen Studers, wer ihn niedergeschlagen habe, warum er in die Heizung gegangen sei – schwieg er. Es war kein angenehmes Schweigen, sogar sein Maskenlächeln hatte der Arzt verloren. Er sah müde aus und verzagt.
Wie gesagt, der Nachmittag schlich sich hin, ein richtiger Sonntagnachmittag mit Handharpfenspiel, das diesmal unzweifelhaft von den Abteilungen herübertönte – mit Gähnen, Unlust…
Es war Zeit, daß der Fall beendigt wurde…
Gegen halb sieben empfahl sich Studer und bat Frau Laduner, sie möge nicht mit dem Nachtessen auf ihn warten. Er könne wirklich nicht genau sagen, wann er zurückkehren werde. Vor der Loge des Portiers hielt Studer an, trat ein und fragte nach Gilgens Haus… Die Lage wurde ihm beschrieben… Es lag etwas außerhalb des Dorfes, ganz in der Nähe des Flusses, der etwa anderthalb Kilometer von Randlingen vorbeifloß.
Und wieder die Allee mit den grünsauren Äpfeln. Die Abenddämmerung war grau… Es war wohl eine Art Instinkt, die den Wachtmeister zu Gilgens verschuldetem Hüüsli führte… Es lag am Ende einer Reihe gleichgebauter Einfamilienhäuser mit spitzzulaufenden Dächern. Alle schienen leerzustehen, nur aus dem Schornstein des einen quoll grauer Rauch in die abendliche Dämmerung. Studer sah sich die
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