Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
verlassen hatten und einen kleinen Platz überquerten, kamen ihnen ein paar Türkinnen entgegen, ältere Frauen mit dunklen Gewändern und Kopftüchern. Sie liefen fast; die Gesichter zeigten Angst oder jedenfalls Besorgnis.
    In einer tortenstückähnlichen Nische zwischen zwei Häusern stand ein großer Mann Mitte Zwanzig vor einem kleineren, jüngeren, der ihm gerade Scheine hinstreckte und sagte:
    »Mehr war nicht – leider.«
    »Scheißumsatz.« Der Große trug schwarzes Leder; als er sich bewegte, sah Matzbach das grelle orange V auf der Motorradjacke. Das Vehikel stand ein paar Meter hinter ihm, mitten auf der Straße; daneben zwei weitere, die im Leerlauf tuckerten. Einer der beiden seßhaften Fahrer sah bei der Transaktion zu, der andere versuchte, Matzbach und Jorinde wegzustarren. Auf dem Sitz der leeren Maschine lag ein Helm, orange.
    Der Große bewegte die Finger der Rechten, als ob sie lange steif oder eingeschlafen gewesen wären. Am kleinen Finger glitzerte der Stein eines Rings.
    Der Mann faßte an seine linke Hüfte; dann schlug er zu, mit dem Handrücken. Der Stein schrammte über die Wange des Jüngeren, der einen dumpfen Laut ausstieß und die Hände hochriß.
    »Merk’s dir. Streng dich ein bißchen mehr an.«
    Der Jüngere wimmerte irgendwas; ein dünner Blutfaden sickerte durch seine Finger.
    Jorinde schaute fort, dann mit brennenden Augen in Matzbachs Gesicht. »Weg hier«, sagte sie erstickt.
    »Vau«, sagte Matzbach laut, wie tief in Gedanken. »Vau – für Verteiler, Verwüstling, Vandale?«
    »Für Victory.« Der Große grinste, während er zu seinem Vehikel ging; er kniff die Augen zusammen und musterte Matzbach aufmerksam. »Und für Verpißt euch.«
    Matzbach schob Jorinde von seiner rechten auf die linke Seite. »Klar doch«, sagte er fröhlich. »Was kümmern uns eure schmierigen Deals?«
    »Schnauze, Opa.« Der seßhafte Motorisierte, der sie angestarrt hatte, schob das Visier hoch, um sich verständlich zu machen; dann ließ er den Motor röhren. Er hatte eine Art Dominomuster auf der Kluft und einen schwarzen Helm.
    »Da gab’s doch mal ne Theorie«, sagte Matzbach. Dann sang er: »Domino, Domino, warum hast du so traurige Augen?« Er machte zwei schnelle Schritte, rammte dem Domino die rechte Schulter gegen den Oberarm, nickte, als der erste Fahrer gegen den zweiten kippte und beide gegen das unbesetzte dritte Motorrad. »Das war für den Opa.«
    Der Große hatte einen Ausfallschritt gemacht, bückte sich nun und hob seinen Helm aus der Gosse. Er blickte immer noch ganz gelassen, mit schmalen Augen. »Wir sprechen uns.«
    Matzbach hob die Hand. »Ich freu mich schon drauf.«
    Jorinde zerrte ihn am Arm fort. »Bist du eigentlich wahnsinnig?« Hinter ihnen schepperten und röhrten die Räder, die wieder aufgestellt wurden.
    »Manchmal übermannen mich einfach meine Gefühle. Solltest du doch wissen.«
    An der Ecke zog sie ihn in eine Bäckerei. »Ich brauch nen Berliner.« Ihr Gesicht war blaß.
    »Dumme Ausrede. Haben Sie auch Bonner?«
    Draußen knatterten die drei Räder vorbei; der Motorenlärm wurde leiser, schwand schließlich völlig.
    Der Bäcker langte in seine Auslage. »Wir tun die jetzt als Ex-Bonner verkaufen, die Berliner.«

5. Kapitel
    Sie kamen ein bißchen zu früh in Genengers liebste Dorfkneipe; Jorinde hatte jeden Appetit auf die Großstadt Neuenahr verloren. Sie setzten sich, bestellten für die Wartezeit und zum Vorwärmen Kaffee, was der Wirt mit einem Schnaufer zur Kenntnis nahm, und lauschten – Matzbach vergnügt, Jorinde verstört – dem Gespräch am Nebentisch, wo drei ältere Männer darüber rätselten, ob die Beförderung eines SPD-Mannes (»keine Ahnung von Verkehr«) zum Leiter der Verkehrsbetriebe etwas damit zu tun haben könnte, daß die SPD einem umstrittenen Straßenbauvorhaben zugestimmt hatte, durch ein eigentlich geschütztes Wäldchen, was wiederum einem anderen Ratsmitglied – CDU, Besitzer einer der größten Kfz-Vertretungen – den Bau einer neuen Ausstellungshalle samt Waschanlage auf dem nun nicht mehr bewaldeten Grenzstück erlaubte, und ob bei dem Handel nicht die FDP »mit dem einen Aufsichtsratsposten da bei dieser Bank« ein bißchen zu gut weggekommen sei.
    Als die Herren aufstanden und gingen, kollidierten sie in der Tür beinahe mit einer jungen Frau, die zum Tresen hastete, eine unetikettierte Weinflasche hinstellte, zum Wirt »da, probier mal« sagte und sich sofort wieder absetzte. In diesem Moment kam Genenger durch

Weitere Kostenlose Bücher