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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Reden.«
    »Eine gute Frage, die mich in tiefe Nachdenklichkeit stürzt, Liebste.«
    »Kannst du sie auch beantworten?«
    »Nicht grundsätzlich. Ich kann dir unter dem Siegel der Indiskretion sagen, daß ich bei der letzten Wahl nicht gewählt habe.«
    »Schlechter Staatsbürger. Warum?«
    »Ach, ich wußte nicht, was es da zu wählen gab.« Er summte leise, dann schmatzte er; es klang wie ein Entschluß, Auskünfte zu erteilen. »Ich versuch mal einen Moment lang, ernst zu sein, okay?«
    »Ich glaub es kaum und fürchte mich.«
    »Daran tust du recht. Sagen wir mal so: Ich glaube, daß für ein funktionierendes Europa zuerst mal die Nationalstaaten verschwinden müssen. Mit Aragon, Burgund, Yorkshire, Bayern und Lombardei geht das besser als mit Frankreich, England, Deutschland. Deshalb, und weil ich es sowieso für eine Fiktion halte, hege ich keine besondere Zuneigung zu Großdeutschland. Klar, ich hab mich gefreut, als die Mauer fiel – weil da Menschen, die jahrelang eingekerkert waren,sich endlich frei bewegen durften. Menschen, nicht Deutsche.«
    »Keine patriotische Rührung, Dicker?« sagte Jorinde.
    »Gerührt war ich, als Dubcek in Prag neben Havel auf dem Balkon stand, aber nicht wegen irgendwas bei uns. Und der Zusammenschluß mußte nicht sein, für mich; ich muß auch nicht alle anderen deutschsprachigen Länder zusammenfassen. Aber vielleicht war es ja nötig, und ich bin ein Dummkopf. Bloß – dann hätte man es gründlich machen sollen. Im Frühjahr 90 gab es eine positive Aufbruchstimmung. Alle wußten, es wird schwierig, es kostet was, aber wenn wir es richtig machen, kann was Brauchbares dabei rauskommen. Statt die Stimmung auszunutzen, hat der Pfälzer sie abgewürgt. Obwohl alle es besser wußten, sagt er, es würde nix kosten – und alle wissen, nach der Wahl, im Dezember, kommt die Rechnung. Dreist belogen und beschissen, so dumm wie nie zuvor. Und gleichzeitig durch diese idiotische Rückgabe statt Entschädigung auch drüben alles abgewürgt. Wer renoviert ein Haus, das ihm vielleicht morgen weggenommen wird; wer investiert, wenn der Boden, auf dem er was bauen will, morgen vielleicht nicht mehr da ist? Und der liberale Schwanz, der seit dreißig Jahren mit dem Hund wedelt, verlaust von Genscherismus und Möllemännlein und adligen Steuerhinterziehern, macht alles mit. Nee, will ich nicht.«
    »Da gäb’s doch ne Alternative …«
    »Was denn? Grüne Fundi-Mullahs? Oder die Gesinnungsethiker, Studienräte mit Zweitwohnsitz Toskana, Neutralitätsnationalisten, überzeugt davon, die Welt würde schon friedlich, wenn man es nur laut genug herbetet? Probieren jedes Jahr neue Varianten von Harakiri aus. Halten nichts von Macht, wollen sie aber haben. Hatten einen fähigenKanzler und haben ihm den Boden weggezogen. Uns dadurch Master Kappes beschert. Und die stellen diesen Saarländer auf, der sagt, er hält nichts von der Vereinigung, will aber erster Vereinigungskanzler werden. ›Ich will die Macht nicht, aber bitte bitte gebt sie mir.‹ Nee, fand ich alles nicht witzig.«
    Jorinde lachte; sie legte die linke Hand auf seinen Oberschenkel. »Komm, laß uns in die Kapelle fahren«, sagte sie halblaut. »Im Bett bist du besser aufgehoben als in noch mehr Kneipen. Warum hast du denn nicht Gysi oder Schönhuber gewählt?«
    Matzbach prustete. »Ich kann mir auch einen Pudding aufs Knie nageln oder ein Kotelett an den Schlips binden. Heim, sagst du? Heimfahrt? Hah.« Er bremste jäh.
    »Was ist los?«
    Er deutete durch die Windschutzscheibe schräg rechts voraus. An einer ältlichen, romantisch verästelten Straßenlaterne baumelte ein aufgeschlitzter, gehängter Rottweiler.
    »Allmählich kriegt es Methode.«
    Jorinde hob die Brauen. »Inwiefern Methode? Welche, zum Beispiel?«
    Matzbach stieg aus, ging zur Laterne, nickte und kam zurück. »Die gleiche Sorte Knoten.« Er ließ den Motor wieder an, fuhr aber noch nicht los. »Wenn sich etwas wiederholt, Liebste, spricht man von Methode. Das heißt nicht, daß sie irgendeinen Sinn ergäbe. Es heißt nicht einmal, daß der, der so etwas betreibt, einen besonderen Sinn darin sähe. Ha. Schach, zum Beispiel. Verlockende Überlegung. Mal sehen, was Osiris dazu sagt.«
    Jorinde blinzelte, schüttelte den Kopf und machte unnennbare Geräusche irgendwo in der Kehle. »Du redest irre. Was soll das nun wieder?«
    »Ich dachte gerade …« Matzbach schnalzte mehrmals; dann legte er den ersten Gang ein und fuhr wieder an. »Es ist alles derart sinn- und

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