Matzbachs Nabel
ohne sich etwa durch Abstützen eines Fußes auf dem Weg leichter zu machen, auf dem Großen, der die Augen geschlossen hatte. Als Matzbach ein Lid hochschob, sah er, daß der Augapfel verdreht war. Der flache Atem trieb Blutbläschen aus der Nase.
»Meiner lebt noch. Was machen deine?«
Yü zuckte mit den Schultern. »Die Kindlein schlafen. Ich hab mich bemüht, nicht zu hart zuzuschlagen.«
»Sollen wir sie liegen lassen?«
»Leisten wir ihnen ein wenig Gesellschaft, bis sie wach sind. Ich glaube, sie brauchen noch ein paar Ratschläge, damit sie in Zukunft wider ähnliche Torheit gefeit sind.«
Der mit Nackenschlag Gefällte begann zu stöhnen; Yü kniete neben ihm, betrachtete ihn in einer Verzweigung des in die Ferne schweifenden Lichtkegels einer der Maschinen, schaute dann wieder zu Matzbach hinüber.
»Wie denkst du eigentlich über die Polizei?«
Matzbach zögerte und räusperte sich in einer Weise, die eindeutig nach Meinungsäußerung klang. »Polizei? Hm. Nachdem zugunsten linker Gruppen die Staatlichkeit soweit abgebaut worden ist, daß sie heute nicht mal gegen rechte Individuen angewandt werden kann … Bah. Ich glaube, die sind zu sehr mit anderen Sachen befaßt. Außerdem – die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß wir hinterher als die Angreifer dastehen.«
Yü wackelte mit dem Kopf. »Völlig zu Recht. Wenn wir gewartet hätten, bis die
uns
angreifen …«
»Wir haben nichts in der Hand, glückhafter Herr Yü. Die drei Jungs werden sagen, man hätte sie bei einem Abendspaziergang schnöde überfallen. Dann haben wir ihnen Schmerzensgeld zu zahlen und werden vermutlich auf Bewährung verurteilt. Muß nicht sein.«
Yü nickte. »Sagen wir den anderen was?«
»Keine Einzelheiten. Sonst kriegen wir bloß wieder Haue, wegen romantischer Abenteuerei.«
Mit einem leisen Schnaufer stand Yü auf, ging zu den immer noch grummelnden Maschinen und schaltete sie aus; die Scheinwerfer erloschen, während Matzbach in den auseinanderstrebenden Lichtkegeln Symbole suchte.
»Hör mal«, sagte er, als der Chinese sich wieder bei seinen Opfern niederließ. »Es möchte sein, daß im Verlauf der Dinge Unkraut gejätet werden muß, ehe es uns zerrupft.«
»Konfuzius sagt, wenn gutes Zureden nicht hilft, mußt du den Finsterling löschen, um das Licht zu entzünden.«
»So, sagt er das?«
Im schwachen Licht der diversen Himmelskörper und fernen Laternen glitzerten Yüs Zähne; vermutlich grinste er. »So ähnlich – wenn ich mich richtig erinnere.«
»Was auch immer Meister Kung sagt, bewegt mich zu einer indiskreten Frage, glückhafter Yü. Hast du schon mal wen ausgeknipst, egal, ob Finsterling oder nicht?«
Yü seufzte. »Wir sehen das nicht so eng wie ihr, mit euren christlich-jüdischen Komplexen, die zwar nichts nützen, aber für schlechtes Gewissen sorgen, wenn man was Böses tut.«
»Soll heißen?«
»Die Welt wäre ein noch viel schlechterer Ort, wenn man nicht hin und wieder die Anzahl der Finsterlinge verminderte.«
Matzbach zischelte; dann sagte er: »Es kann ja auch mal den Falschen treffen, aber … Jedenfalls hast du es geschafft, die eingebaute Tötungshemmung zu beherrschen?«
»Wer überwinden will, muß beherrschen, sagt Schi Huang Ti.«
»Mal was Neues.«
»Reden wir nicht so drum rum. Bei mir sind’s vier; die ersten zwei waren schwer, danach ging es immer leichter.«
»Dein Job als Bodyguard?«
»Hm. Der Knabe, dessen Leib zu schützen war, machte gute Geschäfte mit deutschen Luxuswagen. Du weißt schon, knacken und ab ans Mittelmeer, dann weiter nach Nahost. Da kommt so was schon mal vor. Und du?«
»Dreieinhalb.«
»Wie geht das, halb?«
»Das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls, eh, wenn’s sein muß …?«
»Muß es sein.«
19. Kapitel
Am Samstag baumelte ein ausgeweideter Neufundländer über dem Bach; komplizierte Knoten verbanden seinen Hals mit dem von Nepomuk. Als Matzbach, zu Fuß und guter Dinge, das Dorf erreichte, war gerade eine Streifenwagenbesatzung damit beschäftigt, den Kadaver abzunehmen und den mutmaßlichen Besitzer zu befragen, der händeringend auf der Brücke stand und Nepomuk anzureden schien.
Genenger war früh aufgebrochen. Anrufer, die in den letzten Tagen den Bestatter hatten erreichen wollen, waren beim Auftragsdienst ausgekommen, wo man ihnen mitteilte, der Privatfriedhof sei aufgrund von Vandalismus bis zum Wochenende unbenutzbar, am Samstagabend werde jedoch die Beisetzung des verstorbenen Dichters Osiris K dort
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