Mauer, Jeans und Prager Frühling
dieser Arbeit etwas Geld. »Ja, ich fahr euch. Aber erst ich muß noch den Wenzelsplatz duschen.«
Dagegen hatten wir überhaupt nichts. So kletterten wir in die Kabine, sahen den schönen Platz mit seinen Lichtern aus einer besonderen Perspektive. Nicht mehr lange hin, und es sollten ganz andere »Sprengwagen« über den »Wenzel« rollen. Aber daran dachte damals kein Mensch.
Als wir in der Früh im Hotel ankamen, bereiteten sich in unserem Zimmer gerade junge Leute aus der DDR auf ihre Rückreise vor. Sie blätterten die Westzeitungen durch, besonders interessante Artikel wurden herausgerissen und – damals sagten wir noch nicht T-Shirt – unter die Nicky-Hemden auf die blanke Haut gelegt. Sie wußten, daß das Gepäck garantiert nach westlichen »Druckerzeugnissen« durchsucht werden würde. Vor Gedrucktem hatten die DDR-Funktionäre eine besondere Angst. Das Gehörte oder Gesehene, so hoffte man vermutlich, würde wieder vergessen werden, aber was man schwarz auf weiß nach Hause tragen und mehrmals lesen konnte, das war die eigentliche Gefahr.
In jenen Tagen trafen sich Walter Ulbricht und Alexander Dubček in Karlsbad. Nicht zur gemeinsamen Kur, nicht, um das berühmte Wasser zu trinken oder einen Becherbitter zu genießen. Ulbricht wollte dem tschechischen Genossen eine letzte Warnung, eine spätstalinistische Massage verpassen, eine dogmatische Schlammpackung. Die einsetzende Meinungsfreiheit in der ČSSR, die Vielfalt der Medien war den DDR-Genossen ein besonderer Dorn im Auge. Auf einer Pressekonferenz resümierte Ulbricht: »Als wir aus der Presse erfuhren, daß Sie eine Pressezensur abgeschaffthaben, waren wir bei uns erstaunt, weil wir so etwas nicht kannten. Wir haben nie eine Pressezensur gehabt, und Sie sehen, wir sind ganz gut vorwärtsgekommen auch ohne Pressezensur.«
Mokkatörtel und ich brachen schließlich doch nach Budapest auf. Schließlich hatten wir es uns einmal vorgenommen. Auch eine schöne Stadt, gewiß, doch architektonisch und – in jenem Jahr vor allem – politisch kein Vergleich, obwohl Ungarn ja immer als »die fröhlichste Baracke im sozialistischen Lager« bezeichnet wurde. Wir verlebten natürlich schöne Tage in der Donaustadt, aber Mokkatörtel und mir war klar, daß wir auf der Rückreise noch einmal in Prag Station machen würden. So war es dann auch: wir sahen »Help« aus lauter Begeisterung ein zweites Mal und genossen das neue Lebensgefühl in vollen Zügen.
Schließlich mußten wir doch wieder Richtung Heimat aufbrechen. Vermutlich war auch jegliches Geld verbraucht. Wir zwei jungen Burschen wurden natürlich von den DDR-Grenzbeamten besonders »gefilzt«, mußten unsere Taschen auspacken. Wir hatten noch den Freiheitsvirus im Blut und ärgerten den Zöllner auf unsere Art. Jedes Stück, das wir aus der Tasche nahmen, kommentierten wir: »Das ist ein Turnschuh … das ist … noch ein Turnschuh … dies ist ein Hemd …«
Der Beamte guckte finster. Er wurde bei uns nicht fündig, hatte keine Chance, an unser Schmuggelgut im Kopf heranzukommen.
So verließen wir am 19. August ein Land mit frischem Geist und einem neuen gesellschaftlichen Konzept, das, hätte man es gewähren lassen, Europa bestimmt schon in den sechziger Jahren verändert hätte.
Wir ratterten zurück in das Land der kalten Funktionäre: ich fuhr in meine Heimatstadt und ahnte nicht, was zwei Tage später geschehen würde.
Und Schubi war noch in Prag.
Schubis Odyssee
Schubi, die eigentlich Silvia Dzubas heißt, hatte Mokkatörtel und mir schon im Jugendklub »Vltava« in Prag gesagt: »Ich gehe nicht in die DDR zurück.« Zwei Freunde, die sie auf der Karlsbrücke getroffen hatte, wollten mit ihr über die grüne Grenze. Sie trampten zu dritt nach Č eské Budějovice und hofften dort mit Hilfe eines Einheimischen nach Bayern zu gelangen. Der hatte es sich jedoch inzwischen anders überlegt, und so mußten sie per Anhalter nach Prag zurückkehren. Im zweiten Anlauf wollte sie, um in den Westen zu kommen, es mit einer Heirat versuchen. Ihren zukünftigen Ehemann hatte sie eine Woche vorher kennengelernt, aber als tschechische Staatsbürgerin ihre erträumte Freiheit zu erreichen – dies war ihr eine übereilte Heirat schon wert. Schubi erfuhr im Prager Rathaus, daß es allerdings bis zur Erlangung der Staatsbürgerschaft ein langer Weg wäre. Da sie kein Geld hatte, um zu probieren, ob sich der Weg vielleicht abkürzen ließ, mußten neue Überlegungen her. Treffpunkt vieler junger
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