Mauer, Jeans und Prager Frühling
hier wurde wieder improvisiert, will sagen, die AWA-Listen, auf denen alle gespielten Titel fein säuberlich aufgeführt werden mußten, stimmten nie mit den tatsächlich gespielten überein. So tauchten auf dem Papier Schlager auf, die zu interpretieren wir uns geschämt hätten. Der besondere Effekt dieser Strategie war, daß dadurch – einmalig auf der Welt! – Komponisten und Textdichter Tantiemen für nicht gespielte Musik erhielten!
Ein auf diese Weise reich Gewordener müßte der Band eigentlich noch nachträglich mal einen ausgeben!
Mein Nachfolger-Sänger in der »Club-Band« war ein Student aus Afrika, tiefschwarz. Er hörte auf den schönen Namen Emmanuel Harebatho Temoschengo Musa, aber wurde von allen nur Emma genannt. Der sang dann richtiges Englisch!
Jeans
Wir nannten sie Anfang der sechziger Jahre noch Nietoder Nietenhose. Der englische Begriff bürgerte sich erst viel später ein. Diese Hosen waren ein Durchbruch: gemeinsame Beinkleider für Jugendliche beiderlei Geschlechts. Die jungen Mädchen verabschiedeten sich mehr und mehr von den Röcken. Brigitte Reimann schreibt in ihren Tagebüchern: »Jedenfalls ist mir eine Nietenhose lieber als alle eleganten Röcke der Welt.« Und sie notierte auch, daß ein Abteilungsleiter beim Deutschen Fernsehfunk von ihr verlangte, diverse Passagen in einem Szenarium zu ändern: »… die blödeste: ein Wort wie ›Niethose‹ streichen.«
Vor allem in den Schulen waren Jeans damals verpönt. Beim Fahnenappell hieß es dann mitunter: »Zwei Meter vortreten!« Und der Delinquent erhielt einen Verweis wegen des Tragens von Jeans.
Ein Bekannter betrat auch einmal mit einer Nietenhose bekleidet das Schulgebäude. Zufälligerweise kam ihm gerade der Direktor entgegen, der stutzte kurz und fuhr ihn dann an: »Wenn Sie morgen diese Hose wieder anhaben, dann brauchen Sie gar nicht zum Unterricht zu kommen!« Daraufhin erbat sich der Vater einen Termin beim Direktor und fragte ihn, ob es in seiner Schule auf den Kopf oder auf die Hose eines Schülers ankäme.
Manche Eltern hatten Angst um das Fortkommen ihres Kindes und verboten deshalb, solche Hosen anzuziehen. Ein Bekannter von mir hatte deshalb seine Jeans, ein abgelegtes Exemplar, das ihm ein Freund mit reichlichen Westbeziehungen geschenkt hatte, in einem Karton im Keller deponiert. Dort hat er sich dann vor und nach der Schule unbemerkt umgezogen.
Mein Freund Guido hatte eines Tages echte Levi’s von einem Freund »abgegaubelt«. Die Mitschüler musterten ihn neidvoll.
»Oh, echte Levi’s!«
»Der Lehrer hatte auch geguckt, als ich damit ankam, aber zunächst nichts gesagt. Dann hieß es: Brüssow, komm mal mit! Ich mußte ins Direktorenzimmer. Dort saß der stellvertretende Direktor und meinte, was ich mir einbilden würde, mit solchen Hosen in die Schule zu kommen. Da hab ich gesagt, was soll denn das, die Hosen sind doch sauber.« So naiv dachte Guido, dabei waren sie bekanntlich ideologisch nicht sauber.
Ich versuchte in einem Gespräch, einen Lehrer damit zu ködern, daß es sich doch um Arbeitshosen des amerikanischen Proletariats handeln würde. Allein – meine Strategie wurde durchschaut, meine Argumente wurden abgeschmettert. Es sei einer sozialistischen Persönlichkeit unwürdig, für den Kapitalismus Reklame zu laufen – noch dazu mit einem Levi’s-Schild am Hosenbund! »Ihr seid doch keine Cowboys!«
Als besonders schlimme, verschärfte Form der Anzugsordnung galten Jeans und FDJ-Hemd! Völlig unmöglich! Ein Sakrileg, Blasphemie. Das Blauhemd mit dem am Ärmel aufgenähten Emblem der aufgehenden Sonne, getragen von der »Kampfreserve der Partei«, kombiniert mit diesem imperialistischen Textilerzeugnis – das ging gleich gar nicht.
An den Türen von Tanzsälen hingen mitunter Schilder: »Nieten in Niethosen unerwünscht.« Und selbst 1968 im liberalen Ungarn zeigte der Einlaßzerberus vor einem Tanzlokal an der Donau unverblümt auf meine Jeans und verwehrte mir den Eintritt mit seinem Urteil: »Hosse nix gut!«
Noch strenger verfuhr man im stalinistischen Bulgarien. Günter Kunert erlebte das Anfang der sechziger Jahre am Strand von Warna und schrieb in seinem Buch »Erwachsenenspiele«, was er dort erfahren hatte: »Die Miliz ist berechtigt, ohne Gerichtsurteil Personen in Straflager zu sperren.Beispielsweise Mädchen mit einer Pferdeschwanzfrisur sowie Jeansträgerinnen.«
Wir fanden Jeans jedenfalls herrlich, aber in der DDR gab es damals keine. In Ermangelung von
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