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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Generation staunte noch später, als die Oma für das Enkelkind die erste BRAVO eingeschmuggelt hatte: Was es da so alles gab …

Der »King of Jazz«
    Jazz war bei den Kulturfunktionären in der DDR lange Zeit überhaupt nicht beliebt. Zwar war es vielfach die Musik der unterdrückten farbigen Bevölkerung in den USA , aber trotzdem war es eben amerikanische Musik, und man versuchte die westliche Kultur auf allen Fronten einzudämmen. Noch schlimmer war in den Augen der Kulturaufpasser die Vorstellung, daß es in der DDR auch Jazzclubs geben könnte. Das wäre schon wieder so ein Hort der Konterrevolution gewesen. Was in Prag, Warschau oder Budapest als selbstverständlich galt, wurde zwischen Rostock und Dresden unterdrückt. Deshalb war es eine Sensation, als Louis Armstrong bei seiner ersten Tournee durch einige Länder hinter dem »Eisernen Vorhang« auch in die DDR kam. In der Messehalle 3 gab er am 23. und 24. März 1965 insgesamt vier Konzerte. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte in der DDR nicht eine einzige Schallplatte von ihm. Und nun standen Louis »Satchmo« Armstrong and his All Stars leibhaftig in Leipzig auf der Bühne!
    Die begeisterten Massen jubelten und jubelten, brachten ihm stehend Ovationen. Und ich mittendrin in diesem Musikfest! Nach meiner Erinnerung zahlte ich 25 Mark für die Karte, damals für mich eine unglaubliche Summe. Und »Satchmo« sang »When it’s sleepy time down south« und »Mack the Knife«, »Blueberry Hill« und natürlich auch »Hello Dolly« und all die anderen Lieder, die ihn längst weltberühmt gemacht hatten.
    Nur wer damals in diesem Land lebte, kann sich vorstellen, was Satchmos Auftritt für die Zuschauer in Berlin, Leipzig, Magdeburg, Schwerin und Erfurt bedeutet hat. Jubel und Gänsehaut. Der »King of Jazz« kam zu den Eingemauertenund brachte uns ein Stück weite Welt, ein Stück Freiheit mit.
    Ich war fasziniert an diesem 23. März, von seiner Musik, von der Fröhlichkeit der Band und auch der Lässigkeit. Und man sah deutlich, daß Louis Armstrong zwar der »King« war, aber ihn auf der Bühne nie herauskehrte, sondern immer dafür sorgte, daß seine Musiker genauso im Vordergrund standen. Teamarbeit eben, Akzeptanz und Anerkennung für jede Leistung. Und »Satchmo« strahlte und schwitzte und betupfte sich mit seinem berühmten weißen Tuch Lippen und Stirn. Karl-Heinz Drechsel, der Jazz-Fachmann der DDR, der die Band begleitete, berichtete später, daß dieses Konzert durch ein Tauschgeschäft zustande kam. Devisenmangel war bekanntlich die stabilste Größe in unserem Land. So wurde hochwertige Optik von Zeiss Jena gegen »Mack the knife« getauscht.
    In jenen Jahren hatte der Rassismus in den USA noch eine ganz andere Dimension, und unser Jubel war letztlich auch ein Stück Solidarität mit den Farbigen. Drei Jahre später, im April 1968, wurde die Galionsfigur des Kampfes gegen den Rassismus, der farbige Bürgerrechtler Martin Luther King, erschossen. Im Juni des gleichen Jahres wurde Robert Kennedy, ebenfalls ein Vorkämpfer für die Bürgerrechtsgesetzgebung, ermordet. Und fünf Jahre zuvor war bekanntlich sein Bruder John F. Kennedy, Präsident der USA , der ebenfalls ganz entschieden gegen die Rassendiskriminierung auftrat, den Folgen eines Attentates erlegen. All diese Ereignisse in den sechziger Jahren prägten unser Bild von einem Amerika, in dem auf der einen Seite starke reaktionäre Kräfte wirkten, andererseits eine große Protestbewegung gegen die Rassenunterschiede existierte.
    Ich wohnte in jenen Tagen des Armstrong-Konzerts bei meiner Tante Hilde in der Nürnberger Straße und besuchte die ehrwürdige Buchhändler-Lehranstalt in Leipzig. Am Tag nach dem Konzert bummelte ich Richtung Innenstadt. Ich kam am Hotel Deutschland vorbei und sah plötzlich zwei Musiker der »All Stars« im Foyer stehen. Ich betrat dieHotelhalle; in dem Moment öffnete sich die Fahrstuhltür und der »King of Jazz« verließ strahlend den Lift. Mit seinem Tüchel in der Hand. Ein Manager verteilte sofort an die heranstürmenden Leute Autogramme. Blitzschnell waren sie ausgegeben. Während ich dort stand, ein wenig enttäuscht, daß es nicht für mich mit gereicht hatte, winkte mich eine Hotelangestellte an den Tresen. »Hier«, meinte sie, »nehmen Sie schnell!« Sie drückte mir eine große Ansichtskarte vom Hotel in die Hand. Ich bedankte mich und reihte mich in die Schlange der Fans ein. Geduldig und strahlend gab Satchmo Autogramme. Dann lachte er mich an:

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