Mauer, Jeans und Prager Frühling
… nichts! Verschlossen! Ich klopfte an. Wieder nichts. Nun pochte ich stärker an die Tür … auf der anderen Seite rührte sich nichts. Der Ägypter schlief wie der tote Ramses in seinem Pyramidengrab.
Was tun?
Also zurück ins Erdgeschoß. Zum Nachtportier.
»Ich komm nicht rein. Die Tür ist abgeschlossen!«
»Wat?! Ick hab ihm doch ausdrücklich jesacht, er soll nich abschließen! Mensch, immer diesen Ärjer mit de Kameltreiba!«
Nun war der Fremde plötzlich doch einer.
Der Nachtportier stiefelte voller Zorn mit mir die Treppen hoch. Oben donnerte er mit der Faust und dem Fuß gegen die Tür. Da wäre auch Ramses erwacht. Nun hörte man aus dem Zimmer unverständliche Worte, die Tür öffnete sich unter mehrmaligem: »Excuse me, excuse me!«
»Ick hab Ihn doch ausdrücklich jesacht, daß de Tüa aba offen bleiben muß!«
Der Ägypter im langen weißen Nachtgewand machte einige verlegene Handbewegungen, und der Portier entließ mich trotz der frühen Stunde mit »Jute Nacht«. Als ich mich nach meiner Schlafgelegenheit umschaute, sah ich: da standen – Ehebetten!
Der Ägypter sagte weitere schnelle Sätze in englisch, die ich in Anbetracht meiner mangelhaften Kenntnis der Sprache und meiner Müdigkeit jedoch nicht entschlüsselnkonnte. Der Mann vom Nil kroch wieder unter die Decke. Ich zog meinen Schlafanzug an, putzte mir noch die Zähne mit Elkadent oder Rot-Weiß vom VEB Elbe-Chemie Dresden. Dann ließ auch ich mich auf meinem Lager nieder, und wir unterhielten uns noch ein wenig. Ich begriff, daß er etwas mit Astronomie zu tun haben mußte, denn er erzählte von »stars« und »heaven« und war im Planetarium zu Jena gewesen. An diesem nun schon längst angebrochenen Tag wollte er von Westberlin aus wieder nach Kairo fliegen. Das alles war Welten von mir entfernt. Da schläft einer im Osten, um vom Westen dann in den Nahen Osten zu fliegen.
Schließlich löschten wir das Licht, rutschten aus der sitzenden Haltung in die Waagerechte und hatten wohl beide das Gefühl, daß keiner dem anderen ein Leid antun würde; in diesem Allah- und Gottvertrauen schlummerten wir ein. Vielleicht hat er vom Sternenhimmel geträumt und ich, daß ich mit Möwe-Stars beim Bier sitze.
Plötzlich träumte ich jedenfalls, daß jemand an die Tür klopfte. Sehr energisch, vehement geradezu. Ich wachte auf, das Klopfen war auch in der Realität da.
»Mein Ägypter« schoß aus dem Bett hoch, öffnete die Tür. Es stellte sich heraus, daß er verschlafen hatte und ein Freund oder Kollege, der sich mir, freundlich lächelnd, mit seinem arabischen Namen vorstellte, ihn abholte. Hurtig wie der Wüstenwind kleidete mein Bettgenosse sich an, die beiden winkten mir fröhlich zu, und ich fiel bald wieder in meinen verdienten Schlummer. Das glaubt mir kein Mensch, dachte ich noch, daß ich mit einem wildfremden Mann in Ostberlin in Ehebetten geschlafen habe …
Im Hotel Minerva habe ich nie wieder gewohnt … obwohl, vielleicht habe ich da auch etwas verpaßt. Vielleicht hätte mir der Nachtportier, als er sah, wie gut ich mich solch einer überraschenden Situation anpassen kann, beim nächsten Mal sogar eine Ägypterin ins Bett gelegt …?
Student
Das Wort hatte für mich etwas Besonderes. Student – weg von zu Hause, ein völlig neuer Lebensabschnitt beginnt. Ein Stück Freiheit. Das eigentliche Erwachsenwerden. Man kann in der Freizeit machen, was man will, lernt in einer anderen Stadt unentwegt interessante Menschen kennen. Neue Freunde und Freundinnen. Und dann das Abenteuer, sich eine unbekannte Stadt zu erschließen. Und, nun ja, nebenher studiert man ein bißchen.
Leben in der Messestadt Leipzig. Neben Berlin war das der einzige Ort in der DDR, der etwas weltstädtisches Flair besaß. Nirgendwo in einer Großstadt gab es zum Beispiel so viele Lichtreklamen, obwohl sie mitunter in ihrer Werbung für volkseigene Produkte unfreiwillig komisch wirkten. So leuchtete dem aufmerksamen Spaziergänger von einem Dach am »Chausseehaus« entgegen: »Sitzmöbel aus Waldheim …« Jeder wußte, daß sich in Waldheim ein berüchtigter DDR-Knast befand, in dem auch viele politische Häftlinge einsaßen.
Eigentlich beabsichtigte ich, in Leipzig Germanistik zu studieren. Aber ich hätte danach nur Lehrer werden können, und das wollte ich in der DDR auf keinen Fall. So erkundigte ich mich nach den Bedingungen für das Studienfach Theaterwissenschaft. Ich erfuhr, daß ich alle Chancen für eine Immatrikulation hätte. Warum? Nicht
Weitere Kostenlose Bücher