Mauer, Jeans und Prager Frühling
quasi der Auster-Ersatz, den man gourmethaft schlürfte. Was das mit der Prärie zu tun hatte, entzieht sich meiner Kenntnis, denn ich habe noch nicht gehört, daß Cowboys Tomatensaft mit Wodka getrunken hätten. Manche Genießer verrührten auch alles zu einer Tomaten-Ei-Wodka-Pampe und kamen sich dabei irgendwie »chefig« vor. Das eigenartige Gesöff soll angeblich auch erfolgreich bei Kater gewirkt haben.
Überhaupt waren Flips und Fizz’ in den Sechzigern sehr modern. Und das Herrengedeck! Ausgerechnet in der DDR, wo doch die Herren abgeschafft waren! Die Kombination von einer Flasche German Pils und einer kleinen Flasche Rotkäppchen-Sekt (der Leipziger Grafiker und Cartoonist Rainer Schade schwört, daß dieses alkoholische Gedeck 7 Mark gekostet habe!), den man schluckweise in den Gerstensaft schüttete, sollte eigentlich nur zweierlei erreichen:
1. daß der Umsatz gesteigert wurde und
2. daß vor allem in jenem Lokal nicht so viel Bier getrunken wurde, denn es gab Gaststätten, in denen man nurüber diesen Umweg zu einer Flasche Pils kam. Mit Frau oder Freundin wurde dann geteilt – SIE den Sekt, ER das Bier.
Auch an einer Bar war dies die einzige Chance, ein Bier zu ergattern.
Ich selbst habe meine Frau 1966 nach einem wilden Tanz mit dem Satz: »Jetzt haben wir uns aber einen Drink verdient!« (Sie bemerken schon meine etwas weltmännisch saloppere Art!) an die Bar eingeladen und damit für den Rest des Abends und schließlich daraus folgend auch für den Rest des Lebens in Beschlag genommen. Das war im Leipziger »club 80b« in der Käthe-Kollwitz-Straße. Dort hatte die Fachschule für Gastronomie im Erdgeschoß und in den Kellerräumen anheimelnd gemütliche Räume gestaltet. Ich sah meine – ohne es damals zu ahnen – Zukünftige zur Tanzfläche schreiten. Zunächst nur von hinten, die Beine und ihr Gang gefielen mir. Nach der Tanzrunde habe ich sofort ausspioniert, wo mein blonder Schwarm saß. Von vorn gefiel sie mir erst recht. An jenem Oktobertag hatte ich mit anderen Studenten an einer damals in Mode gekommenen Veranstaltung Jazz und Lyrik teilgenommen. Als ich damit angeben wollte, stellte sich heraus, daß Stefanie die Lesung gar nicht beachtet hatte. Später gingen wir noch in die Nachttanzbar Toscana. Nicht im Traum hätte ich damals mit diesem Namen eine Landschaft in Verbindung gebracht. Es mußten noch dreißig Jahre vergehen, bis ich leibhaftig in der Toscana stand.
Neigte sich der Tanzabend dem Ende zu, war das »Nach-Hause-Bringen« der Herzensdame eine Selbstverständlichkeit. Aber es barg natürlich auch gewisse Risiken. Der schlaue Tänzer brachte nach »Sind Sie öfters hier?«, »Die Musik ist wirklich gut, was?!«, »Was machen Sie beruflich?« das Gespräch schon mal auf die Frage: »In welcher Ecke (oder Gegend) wohnen Sie denn?«
So konnte man in meiner Heimatstadt Zwickau beizeiten die Notbremse ziehen, falls sich herausstellte, daß die Dame eines der reichlich vorhandenen umliegendenDörfer bewohnte. Die nächtlichen Verkehrsverbindungen waren selbstverständlich miserabel, und so hätten nach heftigem Tanz- und Alkoholgenuß noch kilometerlange Wanderungen anstehen können. Meinen Freund Rudi hat es einmal erwischt.
Mitten im kalten Winter.
Nach einer fröhlichen Faschingsveranstaltung im »Astoria« ließen seine pekuniären Verhältnisse noch die Hinfahrt mit einem Taxi zu. Nachdem er sich in aller Form von seiner Herzensdame verabschiedet hatte, folgte der Fußweg zurück.
Bei minus 15 Grad!
Etwa 12 Kilometer von Schlunzig in die Zwickauer Johannisstraße. Am Fuß natürlich keine warmen Wanderschuhe, sondern spitze modische »Salatstecher«. Sein Gesicht, eben noch fröhlich lachend, gefror zur Maske. Nach vollbrachtem Fußweg hätte ihm sofort das Abzeichen für Wandern und Touristik unter Polarbedingungen an die Brust geheftet werden müssen.
Ja, wir waren wohl die letzten wahren Kavaliere!
Und das alles vielleicht für etwas Knutscherei …
Damals galt noch: »Nicht beim ersten Mal ins Heu!« Es gab zwar schon »lose« Mädels und Jungs, aber auch viele junge Frauen und junge Männer, zumal in kirchlichen Kreisen, die sich dafür Zeit ließen. Eins war jedenfalls – ob sie’s nun miteinander trieben oder nicht – in unserer Generation sehr verbreitet: keine bzw. wenig Ahnung von sexuellen Dingen! Es dauerte Jahre, bis der legendäre DDR-Sexual-Knüller »Mann und Frau intim« von Siegfried Schnabel erschien.
Manche Frau, mancher Mann aus meiner
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