Mauer, Jeans und Prager Frühling
kennen. So gründeten wir 1966 unser Studentenkabarett »academixer« an der Karl-Marx-Universität: Jürgen Hart, Christian Becher, Gunter Böhnke (der an der Theaterhochschule wegen Humorlosigkeit abgelehnt worden war) und ich.
Unter dem gleichen Namen hatte bereits eine Truppe am Dolmetscher-Institut existiert. Ihr erstes Programm »Links, wo der Scherz ist« hatte im Dezember 1963 Premiere gehabt. Als sie am zweiten Programm feilten, wurde es vier Wochen davor von oben, also nicht von sehr weit oben, nur vom ersten Stockwerk des Kulturzentrums der Karl-Marx-Universität, abgesagt. Die Vorstellung sollte in jenem Studentenkeller stattfinden, in dem schon der »Rat der Spötter« getagt hatte. Bei den Spöttern war es im September 1961 nicht bei der Absage von oben geblieben; die Akteureum Peter Sodann wurden von der Stasi gleich in Gewahrsam genommen. Ein Blick in die Texte hatte den Genossen der Universitätsparteileitung schon gereicht, um festzustellen, daß in dem neuen Programm »Wo der Hund begraben liegt« die DDR diffamiert werden sollte. Zur »Abnahme«, dem gemilderten Begriff für die Zensurveranstaltung, waren nicht nur Funktionäre der Universität – wie der stellvertretende Parteichef Gottfried Handel – gekommen, sondern noch diverse andere Herren, die niemand kannte, obwohl jeder ahnte, welche Institution sie geschickt hatte. Die ganze Abnahme zeigte letztendlich »Wo der Hund begraben liegt«.
In dem Band »Dürfen die denn das«, der sich 75 Jahren Kabarett in Leipzig widmet, beschreibt Volker Schulte, wie heiß es an diesem Abend zuging: »Als Handel den sozialistischen Überzeugungstäter Peter Sodann einen ›Arbeiterverräter‹ nannte, bot der dem ungeliebten Parteimann Prügel an.«
In den Tagen darauf wurden Peter Sodann, Student an der Theaterhochschule, der Journalistik-Absolvent Ernst Röhl, die Journalistikstudenten Heinz-Martin Benecke, Peter Seidel und Manfred Albani sowie der freischaffende Grafiker Rolf Herschel verhaftet. Der Rektor der Theaterhochschule, Professor Armin-Gerd Kuckhoff, erhielt den Auftrag, über die Texte des Kabaretts ein Gutachten zu erstellen. Er las und deutete und schrieb fleißig – ganze 38 Seiten! Das Konvolut war vermutlich umfangreicher als die Textmappe selbst.
Kuckhoff fällte ein Urteil über das Programm und damit über die Akteure: »Die objektive Wirkung ist eine Beförderung konterrevolutionärer Versuche zur Störung unseres Aufbaues.«
Und so konnte der Bezirksstaatsanwalt mit dem passenden Namen Kampfrad dasselbe anwerfen und die Kabarettisten mit dem Vorwurf der »staatsfeindlichen Zersetzungstätigkeit gegen die Politik der Arbeiterklasse und gegen die Politik der Regierung« überrollen. Ihr Tun schien ihm ganzim »Sinne der von den Bonner Ultras gesteuerten Hetze und Wühltätigkeit«.
Die »Spötter« saßen ein Dreivierteljahr in Untersuchungshaft. Dann wurde ihnen der Prozeß gemacht. Ihr Verteidiger, der kurioserweise Ulbricht hieß, mühte sich redlich und weigerte sich, den Tatbestand der »feindlichen Hetze« zu akzeptieren. Sie erhielten schließlich Bewährungsstrafen. Sodann als »Rädelsführer« die höchste: ein Jahr und zehn Monate.
Die jungen Leute hatten sich eine ungünstige Zeit für ihre Premiere ausgesucht. Die Hoffnung, daß die Oberen hinter der frisch hochgezogenen Mauer etwas lockerer mit der Realität umgehen würden, erwies sich als trügerisch. Das Gegenteil trat ein: an der Universität wurde mit politisch-ideologischen Unklarheiten und sogenannten Provokationen energisch aufgeräumt. Studenten preßte man Bereitschaftserklärungen zum Eintritt in die Nationale Volksarmee ab. Wer sich weigerte, wurde als »Gegner entlarvt« und exmatrikuliert. Die Partei sprach davon, daß dem Gegner Einbrüche in die Studentenschaft gelungen seien. Bezirks- und Universitätsparteileitung übten immensen Druck aus, Scharfmacher Paul Fröhlich natürlich wieder an der Spitze. Innerhalb kurzer Zeit exmatrikulierte die Universität 116 Studenten.
Die Autorin Sylvia Klötzer resümiert in einem Beitrag über das Ende des Kabaretts »Rat der Spötter«: »Das Kabarett-Programm allein hätte eine Verurteilung nicht hergegeben. Es bedurfte der Kriminalisierung der Kabarett-Mitglieder und ihrer Präsentation als ›feindliche Gruppe‹, wozu jeder Witz, der beim Bau des ›Spötterkellers‹ erzählt wurde, als feindliche Propaganda ausgelegt wurde …«
Ein spätstalinistischer Schauprozeß.
Da hatten die
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