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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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»Pfeffermüller« quasi Glück, denn »Woll’n wir doch mal ehrlich sein« – schon der Titel war eine Provokation – wurde 1964 nur verboten, und der Direktor Edgar Kühlow mußte gehen oder, wie man damals sagte, »wurde gegangen«.
    Als ich zum Studium 1965 nach Leipzig kam, saß ich irgendwann zum ersten Mal in der »Pfeffermühle« und lernte eine Form des Kabaretts kennen, die mir auf Anhieb gefiel. Mich begeisterten die be- und gerühmten »Familienszenen«, »Rundtischgespräche« und »Straßenbau-Nummern« wie zum Beispiel »Cosi non fan tutte« aus dem Programm »Eine kleine Machtmusik« (1967) von Hanskarl Hoerning. Hören wir mal den beiden Straßenbauarbeitern zu:
    1. August, guck mal, das Loch ist immer noch in der Straße. Das gute alte Loch.
    2. Das dient doch jetzt der Wissenschaft. Gestern waren schon Archäologen da.
    1. Wer war da?
    2. Archäologen. Das sind Altertumsforscher.
    1. Die haben wohl deine Alte erforscht?
    2. Ich weiß, daß du mit Cohrs in einer Klasse warst.
    1. Na mal im Ernst: Was wollten denn die Archäologen?
    2. Die sind in das Loch reingekrochen. Die haben nach Werkzeugen gesucht, aus der Steinzeit.
    1. Haben sie denn welche gefunden?
    2. Freilich, jaja. Eine Hacke. Bloß im Jahrhundert haben die sich geirrt, August. Das war die, die du vor zwei Jahren liegengelassen hast.
    1. Wieso haben die sich da geirrt, August. Die Werkzeuge, mit denen wir arbeiten, die stammen doch aus der Steinzeit.
    2. Sage nichts gegen die Steinzeit, du. Das Werkzeug damals hat wenigstens gehalten …
    Dramaturg und Texter Rainer Otto nahm sich in »Vorwiegend weiter« die permanente Feiersucht in der DDR vor, »… wir machen doch aus der Eröffnung eines jeden Krämerladens eine Festveranstaltung …«:
    Täglich hab’n wir was zu feiern,
    sei’s der Sommerpreis bei Eiern,
    zwanzig Jahre Rundfunkchor,
    fünfzig Jahre Mann im Ohr.
    Hundert Jahre Wassertreten,
    fünfundzwanzig Raumraketen,
    hundert Jahre gibt es Gas
    und schon fünfundzwanzig das
    Ministerium der Finanzen,
    fünfzig Jahre Ausdruckstanzen,
    hundert Jahre Leipzger Zoo,
    hundertfünfzig waterclo.
    Zwanzig Jahre Wohnraumlenkung,
    dreißig Jahre Ausschußsenkung,
    die HO begeht gesund
    zwanzig Jahre Warenschwund …
    1965 gab es in der Leipziger Pfeffermühle eine »Frohe Messe in haha-moll«. Hoerning dichtete in einem Lied »An der Pleiße« u. a.:
    Uns’re Ahnen sagten sich:
    Berlin liegt an der Spree,
    Dresden liegt am Elbestrand
    und Rostock an der See.
    Darum braucht auch unsre Stadt
    Wasser unbedingt,
    wenn der Reim auch häßlich ist
    und das Flüßchen stinkt.
    Seit der Zeit bekennt der Leipziger voll Huld –
    An der ganzen Pleiße sind wir selber schuld …
    Die frechen Conferencen und Lieder kamen mit viel Charme über die Rampe – von der Schmitter, der Geithner, dem Hoerning, dem Mahler und dem von mir verehrten Manfred Stephan, den ich schon am Zwickauer Theater bewundert hatte. Damals, als junger Student, träumte ich davon, einmal auf dieser Brettlbühne zu stehen und mit den Akteuren in der schönen Kneipe ein Bier zu trinken.
    Die wichtigste Lehre, die ich aus dem Umgang der Behörden mit diesen Kabaretts zog, lautete also: Man mußte seine Worte gut abwägen, wenn man die Texte auch spielen wollte. Das bedeutete, einen Teil des Textes unsichtbar zwischen die Zeilen zu schreiben; der geübte Zuschauer in der Diktatur entschlüsselte das flugs und mit Wonne. Bestens geeignet für solche Zwecke waren die satirischen Stücke von Holberg und Majakowski, die Jürgen Hart entsprechend bearbeitete. »Einmal Troja und zurück« und »Geisterfahrer« (nach Majakowskis »Schwitzbad«) ließen uns viel mehr Raum für politische Satire als Szenen, die in der DDR spielten.
    Das erste Kabarett-Programm der »academixer« hieß »Kein X für U« und hatte am 30. April 1967 Premiere. Zwei Damen verstärkten damals unsere Truppe: Rosemarie Radtke und Dorit Zallmann. Und ein Meister der Tasten: Christof Rüger. Mit Eberhard Scheerschmidt hatten wir zudem einen verläßlichen Techniker.
    Die meisten Texte schrieb Jürgen Hart, als Mitautor tauchte bei zwei Szenen wieder der »Spötter« Peter Seidel auf, mit dem ich in den folgenden Jahren mehrmals für unsere Truppe Texte erarbeitete.
    Schon das erste Programm enthielt ein paar der berühmten »Kollegen-Szenen«: Jürgen Hart und Gunter Böhnke spielten darin zwei Professoren, Jürgen verknautscht und das Jackett immer verknöpft, Gunter ganz akkurat. Wenn beide die Bühne

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