Mauer, Jeans und Prager Frühling
noch vielfach der sogenannte sozialistische Realismus triumphierte. Natürlich wurde auch in der DDR abstrakt gemalt, doch hingen die Arbeiten in den sechziger Jahren zumeist noch in den Ateliers. Polnische Plakate begeisterten uns. Auf diesem Gebiet waren die Künstler aus dem Nachbarland führend in Europa.
Umwerfend war für mich die Gastfreundschaft der Polen. Durch meinen Leipziger Freund Siegfried Hillert lernte ich sie kennen, als wir gemeinsam mit seinem Bruder Rainer und einem weiteren Leipziger, den wir wegen seiner Frisur »Beatle« nannten, nach Bydgoszcz, dem früheren Bromberg, fuhren.
»Polen glaubt an Christus« – dieser Satz begegnete uns in der Stadt mehrmals. Wir spazierten durch die Straßen und schauten uns verwundert um. Alle Kirchen standen 1966im Zeichen der 1000jährigen Christianisierung. Solch ein Satz in einem sozialistischen Land – das war in unserer Heimat unvorstellbar, abgesehen davon, daß die Aussage in der DDR völlig an den Tatsachen vorbeigegangen wäre. Ich fragte mich mitunter, woran wohl die Ostdeutschen glaubten. Natürlich gab es auch Christen beider Konfessionen, aber insgesamt hätte eine Losung bei uns eher heißen müssen: »Die DDR glaubt an gar nischt!«
Oft begegneten uns in der Stadt Priester, Nonnen und Mönche in ihren langen Gewändern. Solche Bilder kannte ich bis dahin nur aus italienischen Filmen. Ich hatte auch noch nie außerhalb eines Gottesdienstes in einer Kirche betende Menschen gesehen. Alle Altäre waren mit frischen Blumen geschmückt. Als ehemaliger Gärtner war ich von der Vielfalt des Schnittblumenangebotes, als eifriger Kinogänger von der Vielfalt des Filmangebotes im Land begeistert. Das erste Mal in meinem Leben ging ich an einem Tag zweimal ins Kino. Am Vormittag sahen wir »Der Tod der Bella« nach einem Szenarium von Jean Anouilh, abends den amerikanischen Western »Die Ranch im Tal« mit Glenn Ford. Wir jungen westernausgehungerten Ostdeutschen veranstalteten in den nächsten Tagen regelrechte Cowboy-Film-Festspiele. Nur einen Streifen habe ich mir aus triftigen Gründen schenken müssen.
Warum? Ich muß dazu etwas ausholen. Also: Siegfried war von Haus aus Slawist und ein Polnisch-Naturtalent. Ich erlebte, wie er in einem Imbiß mit zwei Polen Ärger bekam, weil man ihm nicht glaubte, daß er Deutscher war, und die beiden sich veralbert fühlten. Seine Aussprache war so perfekt, daß er sich schließlich mit dem Ausweis rechtfertigen mußte. Als der Konflikt ausgeräumt war, gerieten wir an die besondere Form polnischer Gastfreundschaft und mußten das berühmte glasklare Nationalgetränk der Polen probieren: auf die Freundschaft, die Gesundheit, die Liebe nebst allen schönen Frauen des Landes. Nach reichlichem Genuß des durchsichtigen Getränks blickten wir nicht mehr durch.
Wir hatten zwar Karten für »Zwei goldene Colts« und stolperten noch in das Lichtspieltheater, doch sah ich die glänzenden Waffen nur einmal kurz aufblitzen. Als der Sieger in den unvermeidlichen Sonnenuntergang hineinritt, wurde ich wieder wach.
Was fiel uns jungen Burschen in Polen am meisten auf? Natürlich die berühmten schönen Mädchen! Das Klischee wurde überall mit prallem Leben erfüllt: der Polin Reiz ist unerreicht. Oft sorgten Kleinigkeiten für den Pfiff: der Schal, die Brosche, der Gürtel. Ich behaupte: Nur die Sächsin kann da in Deutschland mithalten. Vielleicht gibt es zwischen Sachsen und Polen eine sich aus der Historie begründende noch nicht aufgearbeitete Verbundenheit. Schließlich herrschte August der Starke über beide Völker.
In Bromberg sah ich den ersten Presseklub. Auch das war für mich sensationell. In meinem Tagebuch listete ich alle »Westzeitungen« auf, die ich dort entdeckte. Es war für mich ein unvergeßliches Erlebnis, als ich mir zum ersten Mal einen »Spiegel« von der Aufsicht holte und als Pfand meinen DDR-Personalausweis hinterlegen mußte.
Wenn das mein Abschnittsbevollmächtigter wüßte! Das Heiligtum eines DDR-Bürgers im Austausch für solch ein Lügen-Nachrichtenmagazin!
In meinem Tagebuch ist mir – wie ich sehe – tatsächlich wichtig gewesen zu vermerken, daß wir bei unserem Gastgeber diverse Exemplare der westdeutschen Frauenzeitschrift »Constanze« lasen. Nicht etwa, weil uns die Probleme der bundesdeutschen Frau im Jahre 1966 interessierten, sondern weil wir den Inhalt jeder Westgazette aufsogen. Bis zum ersten eignen Fernsehapparat würden noch drei Jahre vergehen; erst dann sind die
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