Mauer, Jeans und Prager Frühling
bundesdeutschen Bilder und Informationen üppiger geflossen.
Der Konditor Roman, Siegfrieds Freund, hatte uns an unserem Ankunftstag in Bromberg nach Hause zum Mittagessen eingeladen. Es beeindruckte mich sehr, als seine alte Mutter vom Tisch aufstand und »dziẹkuje« (danke) sagte. Siegfried erklärte mir, daß es üblich sei, sich für die Gemeinsamkeit,die Gesellschaft zu bedanken. Auch der oft beobachtete Handkuß imponierte mir. Den kannte ich ja nur aus UFA-Filmen.
Wie hat wohl eine DDR-Funktionärin reagiert, wenn ihr dergleichen in Polen widerfahren ist …?
Hat sie die Hand zurückgezogen oder genoß die Genossin plötzlich das Gefühl, eine Dame von Welt zu sein, wenn auch nur der östlichen? Ach, diese Polen mit ihren bürgerlichen Überbleibseln …?!
Ich weiß noch, wie wir zur Kaffeestunde bei Gebäck aus Romans hauseigener Produktion mit einem fabelhaft deutsch sprechenden Priester plauderten. Er hatte vier Jahre in Dachau leiden müssen, empfand aber keinen Haß gegen seine Peiniger. Wohl tauchten im Land aus gutem Grund da und dort Antipathien auf, schließlich lag das Ende des Zweiten Weltkriegs erst etwas mehr als zwanzig Jahre zurück. Dem Kirchenmann waren solche Gefühle fremd, er lebte seinen Glauben.
In Klammern findet sich in meinem Tagebuch zur Vita des Priesters der vorsichtige Vermerk »Komm. – Lager«, was nichts anderes bedeutet, als daß ihn die Kommunisten auch in ein Lager gesperrt hatten. Einen ebenfalls konspirativ abgekürzten politischen Witz im Tagebuch mit dem amerikanischen, sowjetischen und polnischen Regierungschef kann ich leider nicht mehr entschlüsseln. Wie manches andere auch, stichpunktartig notiert. Die Jahrzehnte haben mich das Aufgeschriebene vergessen lassen.
»Autostop« war eine offizielle Bewegung in Polen, während bei uns zu Hause das Fahren »per Anhalter« mehr oder weniger nur geduldet war. Die jungen Polen gaben dem Fahrzeugführer nach der Mitnahme Bons, und der war dann am Jahresende an einer großen Lotterie beteiligt. Nicht immer fuhren wir auf unseren Reisen durch die Volksrepublik Polsterklasse, wir nahmen auch mit luftigen, dreckigen, holpernden LKWs vorlieb. Und das sogar über Hunderte Kilometer.
Einmal begrüßte uns auf einem Lastkraftwagen ein ganzerTrupp Polen. Um die dreißig junge Leute. Tolle Typen dabei. Sie boten den Niemcy, uns Deutschen, sofort die windgeschützten Plätze hinter dem Fahrerhaus an.
Neben mir saß in jenem Sommer 1966 Mirek, ein Student aus Kraków, und erzählte mir, daß er eine unvergeßliche, schmerzliche Erinnerung an die Kriegszeit habe. Vom Fenster der Nachbarn hatte er als kleines Kind gesehen, wie seine Eltern auf einen Lastkraftwagen gestoßen worden waren. Mirek sah sie nie wieder. Unser LKW hielt gerade an einem Bahnübergang, als er mir das erzählte. Wir nutzten die Windstille, um uns eine Zigarette anzuzünden. Mirek gab mir Feuer. Das Auto ruckte an. Schnell wirbelte der Wind den Rauch von uns weg.
Als wir nach Malbork, also in das ehemalige Marienburg trampten, wurden wir von einem Mann mitgenommen, der sich sofort als »zurückgebliebener Deitscher« zu erkennen gab. Er klärte uns auf, daß nach Kriegsende von deutschstämmigen Bewohnern nur in Polen hatte bleiben dürfen, wer die polnische Nationalität annahm. Er war sehr stolz auf seinen Hof, sagte uns, daß er einen deutschen Hof unter polnischer Herrschaft führen würde, und war ganz versessen darauf, ihn uns zu zeigen. Wir nahmen das Angebot an, er führte uns auf seinem deutschen Hof herum, und wir hätten uns gefreut, wenn dieser Deutsche ein wenig die polnische Gastfreundschaft beherzigt hätte, denn er bot uns an diesem heißen Sommertag nicht mal ein Glas Saft an.
Eben ein zurückgebliebener Deutscher.
Die Marienburg faszinierte uns. Da hatte einst der Großmeister der Kreuzritter gelebt; deshalb wurde auch der »Kreuzritter«-Film in weiten Teilen dort gedreht. Die SS verteidigte im Zweiten Weltkrieg diese Anlage besonders erbittert, die Polen restaurierten den wertvollen Bau.
In meinem Tagebuch hielt ich unter diesem Tag in Malbork außerdem das für mich sensationelle Angebot eines Feinkostgeschäftes fest. Ich staunte über Hennessy und Scharlachberg, Cinzano und Black and White, Nescafé und Nesquick, und zu allem Überfluß gab es am Abendauch noch »Das süße Leben«. La dolce vita! Anita Ekberg zeigte ihre zwei stattlichen Eckberge. Es lebe Polen!
Die Reise führte uns weiter nach Gdańsk, Danzig. Mein Tagebuch
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