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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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allmählich in unser Denken eindrang, kam mit der Ohnmacht die Wut.
    Metallgitterzäune sperrten nun den Platz um die Kirche ab. Was sollten wir tun? Wir konnten nur deren Nähe suchen, unseren stummen Protest durch Anwesenheit zeigen. Es begann wohl mit einem Sitzstreik durch Studenten am Mendebrunnen. Sie warfen Blumen in Richtung Kirche.
    Ich sah tagsüber, wie eine junge Frau an diesem Zaun Blumen niederlegte. Ein dunkles Fahrzeug rollte heran, die Türe ging auf, und die Blumen verschwanden im Inneren des Wagens. An der Absperrung in der Universitätsstraße sah ich fünf katholische Geistliche mit Gebetbüchern in der Hand. Sie lasen der Todgeweihten eine Messe. Nach einer Weile wurden sie von Polizeikräften vertrieben. Eine ältere Frau schob ihr Fahrrad über den Karl-Marx-Platz. Auf dem Gepäckträger hatte sie einen Kunstband aufgeschlagen – mit einem Foto der Universitätskirche. Studenten liefen mit Filmstreifen um den Hals. Sie hatten sich die Filme umgehängt, nachdem man sie ihnen aus dem Fotoapparat herausgerissen hatte. Der Protest formierte sich vorwiegend aus Kreisen der studentischen Jugend. Sie hatte in den sechziger Jahren, völlig anders als in den Achtzigern, in der DDR ein ganz besonderes Verhältnis zum Christentum. Die Mehrheit war noch konfirmiert.
    Die Masse der Leipziger hingegen blieb zu Hause. Die älteren zumal, sie erinnerten sich noch zu genau an den 17. Juni 1953. Es war ja erst 15 Jahre her, daß in Leipzig geschossen worden war. Die Leipziger blieben, wie Christoph Hein sein Lustspiel aus jenen Tagen mit ernstem Hintergrund überschrieb: »Zaungäste«. Zwei Frauen unterhalten sich in einem Kaffeehaus:

    Lotte: Demonschtriern is eben verboten.
    Luise : Awer wenn se de Paulinerkirche ooch schbrengn wolln, da isses doch mutich, dasse demonschtriern.
    Lotte: Freilich isses mutich, awer es is verbotn.
    Luise : Darum isses ja mutich, weils verboten is. Kurasche habn de jungschen Leude, den Hut möcht man ziehn.
    Lotte: Wie gehts denn nu weiter. Es passiert ja gar nischt da draußen.
    Luise : Wär zu schade, wenn se de Kirche bis uffn Grund niedermachn. Ä so scheenes Gebäude.
    Lotte: Wenn die oben entschiedn habn, kannste nischt machn. Das wern de jungen Leude ooch noch lärn.Abend für Abend kamen in den Tagen danach junge Leute auf den Karl-Marx-Platz. Hunderte waren unterwegs. Bekannte von mir liefen durch die Innenstadt, wollten in die Oper und wurden schon in der Ritterstraße angehalten, man wollte die Ausweise und die Theaterkarten sehen.
    »Seit wann reißt denn jetzt die Polizei die Karten ab?«
    Ich erlebte, wie eine Straßenbahn vom Bahnhof die Goethestraße hochgefahren kam. Als die Bahn auf dem Karl-Marx-Platz hielt, tönte aus einem Lautsprecherwagen sinngemäß: »Bürger! Bleiben Sie im Wagen! Steigen Sie nicht aus! Sie machen sich sonst einer Zuführung durch die Deutsche Volkspolizei schuldig!«
    Und trotzdem strömten die Menschen aus der Bahn, fuhr sie nahezu leer weiter. Polizei trieb die Menge mit Gummiknüppeln Richtung Bahnhof. Ich lief demselben Stasi-Mann wieder in die Arme, der nach dem letzten Gottesdienst meinen Namen aufgeschrieben hatte. Er erkannte mich nicht, verlangte wieder den Ausweis und notierte sich meine Personenangaben zum zweiten Mal in sein Vokabelheft. Die Leute wurden vertrieben und strömten aus allen Richtungen wieder auf den Karl-Marx-Platz zurück.
    Lutz Herrmann erzählte mir: »Die Schläge spüre ich noch, die ich erhalten habe, nicht als Schmerz, sondern als Gefühl der Ohnmacht. Wir haben am Vorabend der Sprengung zu fünft die Kirche umkreist. Zunächst standen wir am Hotel Deutschland, dann am Europahaus. In einer Grünanlage haben wir Blumen gepflückt und uns an das Jackett gesteckt. Wir gingen zurück und riefen, auf uns gemünzt: ›Kirchengänger!‹ und in Richtung der Sicherheitskräfte: ›Kirchensprenger!‹
    Sofort waren wir von Zivilisten umringt: ›Ausweis!‹ Ich hatte meinen nicht mit, und man führte mich hinter das Hotel Deutschland. Einer sagte: ›Ihr habt genug Kirchen in Leipzig!‹ Ich sagte: ›Weisen Sie sich mal aus.‹
    ›Wenn ihr noch mal kommt, schlagen wir euch zusammen.‹
    Zur Bekräftigung des Gesagten schlugen sie mir mehrmals mit der Faust ins Gesicht.«
    Dieser »Ausweis« war deutlich.
    »Ich ging zurück zur Post. Dort wurde gerade ein junger Mann an Armen und Beinen in das Gebäude gezerrt. Ich kannte so etwas nur von Berichten über Demonstrationen im Westen. Ich wurde wieder verhaftet,

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