Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
Vom Netzwerk:
Helsinki im Jahre 1974 gab es die Möglichkeit der Ausreise aus dem ungeliebten Land, aber zwischen 1961 und 1974 waren die Menschen tatsächlich eingemauert, und wer gegen irgend etwas protestierte, mußte damit rechnen, daß die Tat für ihn einschneidende Konsequenzen haben konnte. Sich trotzdem zu wehren, dazu gehörte viel Mut.
    Paul Fröhlich, so hieß es, habe große Ambitionen gehabt, wollte der Nachfolger von Ulbricht werden. Davor hat uns der liebe Gott bewahrt. Fröhlich hat den Tod der Kirche nur zwei Jahre überlebt, er starb 1970. Er wurde begraben wie ein großer Herrscher. Eine Lafette transportierte seinen Leichnam zum Südfriedhof. An der Leninstraße stand alle paar Meter ein NVA-Soldat. Und wohl auch einige Leipziger, die man zum Paradestehen abkommandiert hatte. Fröhlich hat nur eine große Liebe gehabt: propagandistische Großveranstaltungen. Und in diesem Stil ist er auch begraben worden.
    Nachdem sie erst einmal beseitigt war, wurde »Universitätskirche« zu einer Art Unwort, der Begriff sollte, möglichst für immer, verschwinden.
    In dem 1979 im VEB Verlag für Bauwesen Berlin erschienenengroßen Bild-Textband »Leipzig – Historische Plätze und Straßen heute« wird die Unikirche gar nicht mehr erwähnt. Das neue Universitätsgebäude wird folgendermaßen lokalisiert: »Mittelpunkt der Anlage ist der große, gepflasterte Innenhof, der nach dem Karl-Marx-Platz von dem Hauptgebäude begrenzt wird, das etwa die Grundstücke einnimmt, auf denen das Café Felsche und das Augusteum gestanden haben.«
    Stand dort nicht einige Jahrhunderte lang noch ein Gebäude? Fälschung durch Weglassen.
    1986 erschien mein erstes Buch: »Liederliches Leipzig«. Darin schrieb ich über die Universität: »Leider fiel dem Neubau die Kirche mit dem letzten Teil des Kreuzgangs und Gewölben aus der Klosterzeit zum Opfer.«
    Über den Begriff »Opfer« stolperte der Lektor, wir diskutierten darüber, aber das Wort blieb stehen. Ein Foto im Buch aus den sechziger Jahren zeigte das bis 1968 genutzte Albertinum. Ins Bild ragte der Dachreiter mit dem Kreuz von der Universitätskirche … 1988 zeigten wir dann im »academixer«-Keller in einer Ausstellung ein Foto der Unikirche von Gudrun Vogel mit ihrer Bildunterschrift: »Davor«.
    Im Mai 1988 rief ich Roland Wötzel in der SED-Bezirksleitung an. Er war damals Sekretär für Wissenschaft, und ich kannte ihn durch meine Arbeit als Kabarettist. Ich sagte ihm, daß sich in diesem Monat die Sprengung der Unikirche zum 20. Mal jähren würde, und ich fände, das wäre doch ein Anlaß für ein Gedenkblatt, das ich gern für die »Leipziger Volkszeitung« schreiben würde.
    Am anderen Ende der Leitung war erst mal Stille, dann kam die zögernde Antwort sinngemäß so: »Also … wenn ich mich da hier so umsehe … da finde ich niemanden, der das mit unterstützen würde …«
    Die Kirche ist in Leipzig nie vergessen worden. In vielen Wohnzimmern hing ein Stich oder ein Foto, und immer wieder, wenn Leipziger zusammensaßen, kam die Rede auf jenes Jahr 1968.
    Auch wenn der Verlust noch heute schmerzt – die Idee, jene Kirche wieder zu errichten, erinnert mich ans Disneyland, nicht zu vergleichen mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche, von der viel mehr Originalsubstanz existierte.
    Wollte man den Sakralbau am vollgerümpelten Augustusplatz trotzdem wieder errichten, wäre das genauso ein Fremdkörper, wie es mittlerweile der Mendebrunnen ist. Es spielt sowieso fast keine Rolle mehr, was dort gebaut wird. Egal ob die Metallpergola, die auf mich wie ein überdimensionierter Busbahnhof wirkt, die legendären »Milchtöpfe« oder das »Mauer-Café« – der Platz ist nun mal verhunzt.
    So schnell können Bäume gar nicht wachsen, um den Anblick zu mildern. Die Unikirche würde an diesem »vergorgsdn« Platz wie eine filigrane Brosche an einem ausgeleierten Jogginganzug wirken.

Die Presse
    Am 24. Mai 1968 erschien eine LVZ-Sonderbeilage: darin das Modell der neuen Universität – und die Kirche war weg!
    Als hätte sie nie dort gestanden. Auf der Abbildung ist ein total aufgeräumter steriler Karl-Marx-Platz zu sehen.
    Ausführlich wurde über die Baupläne für die Messestadt geschrieben. Von den Hochhausdominanten am Ring, von der Messemagistrale Straße des 18. Oktober; und der Text endet mit jenem oft gebrauchten größenwahnsinnigen Satz: »Leipzig wird schöner, als es je war!«
    Die »Leipziger Volkszeitung« druckte am 28.5.68 folgenden Brief an die Redaktion ab: »Ich

Weitere Kostenlose Bücher