Mauer, Jeans und Prager Frühling
durchsucht, hinter dem Hotel Deutschland an die Wand gestellt. Limousinen brachten die Verhafteten weg. Auch ich wurde mit einem Auto in die Dimitroffstraße gebracht, in jenes Häuserquartier, in dem sich auf der einen Seite die Polizei, auf der anderen die Theologische Fakultät befand. Dort wurde ich verhört. Morgens gegen fünf bekam ich eine Strafverfügung über 150 Mark wegen Aufruhr und Störung der öffentlichen Sicherheit.«
Siegfried Hillert schrieb in jenen Tagen in sein Tagebuch: »Man könnte weinen, wenn man an seine Hilflosigkeit denkt. Aber auf der anderen Seite bin ich sehr froh, daß in diesem Fall wirklich Gegnerschaft der Bevölkerung demonstriert wurde. Die ›Karl-Marx-Platz-Aktion‹ erreichte gestern ihren Höhepunkt: bestimmt 1000 Personen liefen am Karl-Marx-Platz auf und ab. Die Polizei war sehr nervös und ging mit Hunden und Schlägertruppen gegen die Massen vor. Es gab eine große Anzahl von Verhafteten und Aufnotierten. Aber trotzdem flaute die ›Prozession‹ keinen Moment ab. Es ist befreiend zu sehen, daß es auch bei uns viele Leute gibt, die sich mit den Zuständen nicht einfach abgefunden haben und zur Aktivität streben. Diese lautlose und gewaltlose Demonstration der Leipziger Studenten bedeutet wohl mehr als Straßenschlacht und Barrikadenbau im Westen.«
Die »Leipziger Volkszeitung« sah das natürlich ganz anders. Sie formulierte, auf die Proteste der Demonstranten verweisend, wie »unsere Menschen« das angeblich sahen: »Sie wandten sich empört gegen jene Gammler und Nichtstuer, die im Stadtzentrum rumkriechen und vermutlich nicht wissen, wo ihre Arbeitsstelle ist. Viele Bauarbeiter erklärten: Man sollte ihnen das Arbeiten lernen, auch dort,wo schwierige und nicht immer saubere Arbeit zu verrichten ist. Wir müssen den Mut haben, sie zu anständigen Menschen zu erziehen!«
Es tat regelrecht weh, zu sehen und zu hören, wie martialisch die Sprenglöcher in das altehrwürdige Gebäude gebohrt wurden. Über 500 waren nötig. Aus sprengtechnischen Gründen wurden dann plötzlich Hunderte Fichten angefahren und rings um die Kirche an das Gemäuer gelehnt. Nun roch es beim Vorbeigehen Ende Mai dort nach Weihnachten.
Am 29. Mai informierte der Oberbürgermeister in der »Leipziger Volkszeitung«: »Der unmittelbare Sprengbeginn wird durch ein Hornsignal bekanntgegeben, ebenso das Ende …«
Ein Hornsignal. Wie bei einer Jagd.
Claus Baumann, damals Student der Kunstgeschichte, erhielt am Tag der Sprengung früh halb sieben ein Telegramm, daß sich alle Studenten halb acht im Institut einzufinden hätten. Wer nicht käme, dem wurde die Exmatrikulation angedroht. »Von früh um acht bis sechzehn Uhr wurden wir dann dort in einem Raum eingesperrt.« Sie wurden sozusagen in Tages-Schutzhaft genommen.
Zur Sprengung bin ich nicht gegangen. Das wollte ich nicht sehen. Schon der Gedanke daran schmerzte.
Einen Tag später hieß es in der »Leipziger Volkszeitung«: »Bauarbeiter leisteten Maßarbeit«.
Bauarbeiter bauen normalerweise etwas auf. Hier hatten Sprengmeister ein Todesurteil vollstreckt.
LKWs fuhren ununterbrochen die Trümmer weg. Polizei bewachte selbst mit Hunden Tag und Nacht die Stelle des Abkippens. Wahrscheinlich hatte man Angst, daß die Bevölkerung dorthin pilgerte, um Steine zu bergen. Einige Wagen transportierten auch Schutt zum Fockeberg. In einer Kurve fielen einige Ziegelbrocken auf die Straße. Dort fand ich eine metallene Sperre von einem Fenster – ein Stück Unikirche.
Wer sich über den Jahre anhaltenden Kampf um die Kirche informieren will, der lese das hervorragend recherchierteBuch von Katrin Löffler »Die Zerstörung«. Dort schreibt sie u. a.: »Städtebauliche Ideen und die Forderungen der Universität nach neuen Gebäuden gaben den Anstoß. Die Zerstörung der Universitätskirche muß auf dem Hintergrund der gesamten Stadtplanung dieser Zeit gesehen werden. Mit dem Widerstand aus der Bevölkerung entwickelte sich außerdem ein Machtkampf, der ganz nach den damaligen Spielregeln ablief. Politische Ziele und persönliche Machtinteressen verflochten sich. Es gab ›Überzeugungstäter‹ und solche, die Beschlüsse ausführten; es gab diejenigen, die um ihre Position fürchteten, und diejenigen, die blieben, weil sie nichts verhindern konnten oder Schlimmeres verhüten wollten.«
Warum ich die Protestierer von 1968 für besonders mutig halte? In den fünfziger Jahren konnte man über Nacht die DDR verlassen. Mit den Vereinbarungen von
Weitere Kostenlose Bücher