Mauer, Jeans und Prager Frühling
beseitigt.« Vorsicht, Herr Sauer, das könnte ein Eigentor werden, denn der »Thüringer Hof« ist auch so ein Überrest!
Professor Albert Kapr, Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst und Mitglied einer Jury zur Begutachtung der Entwürfe, »war beeindruckt von der Großzügigkeit und dem Ideenreichtum der beteiligten Architektenkollektive«. Und er schreibt weiter:
»Selbstverständlich bedauere ich, daß die historische Universitätskirche den neuen Bauten weichen muß, aber ich ließ mich von den Argumenten der Architekten überzeugen,die klar nachwiesen, daß sich mit der Kirche zusammen kein gutes Ensemble bilden läßt … Mit der Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes wird eine Epoche im Baugeschehen der Stadt Leipzig eingeleitet, auf die alle Einwohner stolz sein können.«
Dr. Paul Ullmann (CDU ) führt aus: »Als Christen, die wir unsere sozialistische Gesellschaftsordnung mitgestalten, können wir uns nicht von Sonderinteressen leiten lassen. Wir haben unsere Entscheidung vom Standpunkt unserer Verantwortung für das Ganze zu treffen.«
Kleiner Nachtrag zur Unikirche
oder Warum ich kein CDU-Mitglied wurde
Eines DDR-Tages, in den achtziger Jahren, sprach mich der Journalist A. an. Er war etwas verlegen, kam aber gleich zur Sache. Seine Partei, also die CDU , habe ihn beauftragt, mich für ein Gespräch zu gewinnen: »Du weißt doch, wie das ist.«
Ich wußte es nicht, aber ich rede prinzipiell mit jedem Menschen, der mich sprechen will. Außerdem interessierte mich schon, was die Unionsfreunde von mir wollten.
In der Käthe-Kollwitz-Straße residierte jene Partei in einem Gebäude, in dem vor dem Krieg ein Konsul seine Amtsgeschäfte geführt hatte. Die bürgerliche Atmosphäre der Jahrhundertwende war im Haus noch zu spüren.
Ich wurde vom Bezirksvorsitzenden der CDU empfangen, an seiner Seite der stadtbekannte Rezensent, der mich angesprochen hatte, und schließlich ein Mann, der sich mir als der Verantwortliche für Agitation und Propaganda vorstellte. Darüber mußte ich doch lachen und konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß ich mich sehr wunderte, weshalb man dafür keinen anderen Begriff gefunden habe als jenen, den die Genossen der SED benutzten.
Der Vorsitzende verzog keine Miene, der Agitprop-Mensch lächelte verlegen, A. grinste. Belegte Brötchen wurden offeriert. »Kaffee? Wein?«
Zunächst unverbindliches Geplauder, man sprach über dies und jenes. Schließlich näherten wir uns den Problemen, die die Leipziger beschäftigten: Die Wohnungssituation, das Bauwesen, vor allem der Verfall im Stadtzentrum, die Umweltsorgen …
Als wir das Konfliktpotential der Messestadt erörterten, kam der Bezirksvorsitzende zur Sache. Bei meinen Interessen und meinem kritischen Engagement für die Stadt … alsKabarettist, der an der Veränderung der Gesellschaft mitwirkt … als Autor, der sich mit der Geschichte der Juden in Leipzig befaßt … und als Mitglied einer Leipziger Kirchgemeinde könne es doch nur eine Partei für mich in der DDR geben, die genau für diese meine Ziele eintrete und sie verwirkliche: die CDU .
Ich war überrascht!
Ich hatte bisher nicht festgestellt, daß diese Partei tatsächlich dasselbe wollte wie ich. Im öffentlichen Leben der Stadt war mir derlei nie aufgefallen.
Erst recht nicht in den zurückliegenden Jahrzehnten. Wie man sich doch täuschen kann!
Ich sagte dem Bezirksvorsitzenden: »Wenn Sie jetzt aus diesem schönen alten Einbauschrank dort drüben eine Mappe nehmen und mir den Protestbrief des Bezirksvorstandes der CDU aus dem Jahr 1968 gegen die Sprengung der Universitätskirche zeigen, dann würde ich Ihre Partei in einem anderen Licht sehen und mir die Sache überlegen.«
Pause.
Dann kam von ihm ein leises, aber genervtes: »Nein, da gibt’s nichts.«
Die Ost-CDU wurde 1990 von der West-CDU herzlich umarmt. Und die Ostler konnten und können nun aus sicherem Hafen auf die ehemaligen SED-Genossen, mit denen sie als Blockpartei einst brüderlich verbunden waren und die heute zum Teil Mitglieder der PDS sind, frank und frei einhacken.
Diese Replik führt zwar etwas vom Thema weg, aber wiederum auch heran. So widersprüchlich und absurd geht es zu, wenn man sich in unserem Land mit Politik beschäftigt. Zum Schluß will ich die Absurdität noch ein wenig auf die Spitze treiben: theoretisch ist also möglich, daß ein junges CDU-Mitglied, das 1968 die Hand für die Zerstörung der Kirche hob, sich im Jahre 2002 vehement für den
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