Maxwell 03 - Nur du hast den Schluessel
von einem Seely Crescent gehört, Mildred?«
»An der Ecke wächst ein großer Kastanienbaum – « begann Wobbler.
»Wir haben eine Kastanie«, sagte Mr. Seely und zeigte auf einen Stock mit ein paar Blättern dran. Er lächelte. »Im Augenblick sieht sie noch nicht besonders groß aus, aber du kannst ja in fünfzig Jahren mal wiederkommen.«
Wobbler starrte erst das Bäumchen an und dann den Mann.
Es war ein großer Garten, und dahinter lag ein Feld. Dort war genug Platz für eine Straße, wenn jemand… eines Tages… eine Straße bauen wollte…
»Werd ich machen«, sagte er.
»Alles in Ordnung mit dir, junger Mann?« wollte Mrs. Seely wissen.
Wobbler merkte, daß er keine Angst mehr hatte. Es war einfach keine mehr übrig. Es war wie in einem Traum. Hinterher klang das alles immer ziemlich blöd, aber wenn man mittendrin war, machte man einfach weiter.
Es war wie ein Raketenstart: eine Menge Krach und Durcheinander, und dann war man in der Umlaufbahn und trieb dahin und konnte sich alles unter einem ansehen, als wäre es nicht wirklich.
Ein verblüffendes Gefühl. Wobbler hatte einen großen Teil seines Lebens damit zugebracht, vor Dingen Angst zu haben, auf eine etwas unklare Weise. Es gab immer irgendwas, was er hätte tun – oder nicht tun – sollen. Aber hier schien das alles egal zu sein. Er war noch nicht einmal geboren – irgendwie jedenfalls –, also konnte er an gar nichts schuld sein.
»Mir geht’s gut«, sagte er. »Danke der Nachfrage. Ich… ich geh jetzt wieder in die Stadt zurück.«
Er konnte spüren, wie sie ihm hinterherschauten, als er die Straße wieder zurückging.
Das hier
war
seine Heimatstadt. Es gab jede Menge Anzeichen dafür. Aber vieles andere war… seltsam. Es gab mehr Bäume und weniger Häuser, mehr Fabrikschornsteine und weniger Autos. Und erheblich weniger Farbe. Es sah nicht danach aus, als würde es viel Spaß machen, hier zu wohnen. Er war ziemlich sicher, daß niemand hier auch nur wußte, was eine Pizza war –
»He, Mister«, krächzte jemand.
Am Straßenrand saß ein Junge.
Es war ganz bestimmt ein Junge. Aber seine kurzen Hosen reichten ihm beinahe bis an die Knöchel. Er trug eine Brille, bei der ein Glas durch Packpapier ersetzt war; sein Haar war offenbar mit einem Rasenmäher geschnitten worden, und seine Nase lief. Und er hatte abstehende Ohren.
Niemand hatte Wobbler je »Mister« genannt, außer Lehrern, die sarkastisch sein wollten.
»Ja?« sagte er.
»Wo geht’s denn hier nach London?« fragte der Junge. Er hatte einen Pappkoffer neben sich stehen, der mit Kordel zugebunden war.
Wobbler überlegte einen Augenblick. »Da hinten rüber«, sagte er und zeigte in die Richtung. »Keine Ahnung, warum es keine Straßenschilder gibt.«
»Ron sacht, die sind alle weggenommen worden, damit der Jerry nich weiß, wo’s langgeht«, sagte der Junge. Er hatte eine Reihe kleiner Steine neben sich im Rinnstein aufgebaut. Hin und wieder griff er nach einem und warf ihn mit großer Genauigkeit nach einer Blechbüchse auf der anderen Straßenseite.
»Wer ist Jerry?«
Ein zutiefst mißtrauisches Auge starrte ihn an.
»Die
Deutschen
«, sagte der Junge. »Aber ich hätt nix dagegen, wenn sie herkämen und ‘ne Bombe auf die alte Mrs. Density werfen täten.«
»Wieso? Kämpfen wir gegen die Deutschen?« fragte Wobbler.
»Bist du Amerikaner? Unser Dad sacht, die Amerikaner sollen auch kämpfen, aber die warten noch ab, wer gewinnt.«
»Äh…« Wobbler beschloß, daß es ganz gut wäre, eine Weile Amerikaner zu sein. »Ja. Klar.«
»Mann! Sach ma was Amerikanisches!«
»Äh… okay. Microsoft. Spiderman. Howdy.«
Diese Demonstration transatlantischen Ursprungs schien dem Jungen zu genügen. Er warf noch einen Stein nach der Blechbüchse.
»Unsere Mam sacht, ich muß bei Mrs. Density bleiben, und das Essen hier is
Müll
«, sagte der Junge. »Ich muß sogar
Milch
trinken! Die Milch daheim, die hat mir ja nix ausgemacht, aber hier kommt sie aussem Hintern vonner Kuh. Hab ich selber gesehen. Dann ham sie uns auffen Bauernhof mitgenommen, wo überall Dreck war, und weißte, wo die Eier rauskommen? Bah! Und wir müssen um sieben ins Bett, und ich will wieder zu meiner Mam, und ich geh jetzt heim. Ich hab genug vom Evakuiertsein.«
»Klingt schrecklich«, sagte Wobbler unsicher.
»Ron sacht, es macht Spaß, im U-Bahnhof zu schlafen, wenn’s Alarm gibt«, fuhr der Junge fort. »Ron sacht, sie haben die Schule getroffen und es muß keiner mehr
Weitere Kostenlose Bücher