Mayabrut (German Edition)
Götter hatten Cholaläl aus dem Totenreich zurückgesandt. Warum?
Cholaläls Stimme zerstörte den lähmenden Bann der Angst: „Wir sind Menschen und zu euch in Frieden gekommen.“
Ein Murmeln ging durch die Menge. Die Alte beugte sich zu Cara und berührte scheu seinen Arm, dann rief sie: „Wiñik.“ Das Wort Mann löste einen unbeschreiblichen Jubel aus.
Cholaläl hatte nun Mühe, zu Wort zu kommen, aber nachdem sie die Arme hob, legte sich der Lärm und sie konnte sprechen: „Diese Männer und Frauen sind zu euch gekommen, um Krankheit und Hunger aus dem Yäx Tyuñ Tal zu verbannen. Sie alle sind Angehörige des Volkes, der …, hier stockte sie und schaute fragend zu Cara.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte: „Kolumbianer.“
„Kolumbianer“, wiederholte Cholaläl und ergänzte: „… die mich gerettet und in ihr mächtiges Volk aufgenommen haben. Sie sind die Freunde aller Maya, von denen noch viele, weit entfernt von hier leben.“
Bajlumkolem, der große Jaguar, hatte sich von seinem Schock erholt und schlich sich vorsichtig aus der Menge. Kurz darauf eilte er die Stufen der Pyramide hinauf.
Celia hatte bemerkt, wie sich der Hüne davonschlich. Sie stupste Cara in die Seite und zeigte zur Pyramide. Voll Sorge beobachteten sie, wie der Riese mit seinem Speer die Spitze erreichte und im Tempelbau verschwand. In diesem Augenblick jubelten die Talbewohner laut auf, denn Cholaläl verschenkte gerade Salzstreuer aus klarem Plastik und die Ersten hatten von deren Inhalt gekostet. Die begeisterten Talbewohner umringten das Expeditionsteam noch enger und jedes neue Präsent erzeugte neue Jubelstürme. Celia und Cara sahen nervös zur Pyramide, der Hüne blieb verschwunden. Sie mussten möglichst schnell zur Pyramide - aber wie? Cara hatte eine Idee. Wenige Minuten später trugen die Maya die Ausrüstung ihrer neuen Freunde auf die Pyramidenspitze, damit sie dort oben ihr nächtliches Lager errichten konnten. Die Dämmerung setzte schon ein, als der Chinook startete. Die Maya winkten ihm noch lange hinterher. In der Nacht zündeten sie am Fuß der Pyramide Lagerfeuer an. Dort kochten sie Kakao in blitzenden Töpfen und schlürften ihn dann aus Plastiktassen. Bis tief in die Nacht sangen und tanzten alle Dorfbewohner, ja selbst die Kinder. Erst
gegen Mitternacht verstummte der letzte Sänger.
11. Blutige Mahlzeit
Pyramide, Yäx Tyuñ Tal
Samstag, 22. September 2012
Fahles Mondlicht schlich sich in den Tempelraum und starb im Farbspiel des LED-Strahlers. Dieser künstliche Regenbogen war zwar auch eine von Sutins technischen Spielereien, doch Cara war fasziniert von diesem Farbreigen, der Cholaläls Antlitz gerade in einen glühenden Lavaschein hüllte. Sie hatte sich wie ein Baby in ihrem Schlafsack eingerollt. Hinter ihr ragte das gewaltige Gestell einer Seilwinde auf, an der ein Käfig hing - Cholaläls Fahrstuhl zum Scheiterhaufen. Darunter war im Boden eine mehrere Meter große, quadratische Öffnung, an der ausgetretene Steinstufen ins Dunkel führten. Ein seltsamer, scharfer Geruch stieg daraus empor, der an den Gestank von schlecht gereinigten Toiletten erinnerte.
Cara kuschelte sich in seinen Schlafsack und sah zur Decke. Das LED-Licht hatte auf Weiß gewechselt und strahlte ein bizarres Sternenzelt an. Sternenbilder aus Smaragdsplittern blitzten inmitten gemeißelter Steinfratzen. Er drehte sich zum Eingang des Tempels und blickte hoch zum Nachthimmel. Wie oft hatten wohl von hier aus die Mayapriester ihren Kriegsstern, die Venus, beobachtet, und wie viele Male mochte hier Akälajaw seine blutigen Rituale vollzogen haben? Und morgen würden sie in sein dunkles Reich hinabsteigen.
Ein Arm legte sich auf seine Schulter. Er wagte sich nicht zu rühren. Etwas Weiches streichelte seinen Rücken. Es war das gleichmäßige Heben und Senken von Cholaläls Brüsten. Cholaläl atmete ruhig und ihr Handgelenk schwebte vor seinem Gesicht, daran hing eine angekohlte Schnur.
Als sie am Abend das Plateau der Pyramide erstiegen hatten, um ihr Nachtlager einzurichten, fiel Cholaläl vor der Asche des Scheiterhaufens auf die Knie. Sie schob die Trümmer von Caras Smaragddolch zur Seite und sammelte einige angekohlte Reste ihrer Fesseln auf. Andächtig flocht sie daraus zwei Armbänder. Eins schob sie über das Handgelenk des neben ihr stehenden Cara und das andere streifte sie sich selbst über. Nun deutete sie auf den Platz neben sich. Als er neben ihr saß, schloss sie ihre Augen und
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