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mayday mayday ... eastern wings 610

mayday mayday ... eastern wings 610

Titel: mayday mayday ... eastern wings 610 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Vogesengegend bei Straßburg in weniger als drei Stunden zurückgelegt. Und es waren auch nicht die Rettungsmannschaften der Präfektur gewesen, die ihm den Weg zum Katastrophenort zeigten, sondern eine Gruppe von Ärzten und Helfern, die er zufällig getroffen hatte und die von ihrem Krankenhaus auf eigene Faust aufgebrochen waren.
    Die Aufschlagstelle des Airbusses A-320 der Air Inter, der in dieser Januarnacht beim Instrumentenanflug auf Straßburg plötzlich von den Schirmen der Flugkontrolle verschwunden war, war zwar bereits seit neunzehn Uhr dreißig bekannt, doch als Brückner gegen zweiundzwanzig Uhr in der Gegend eintraf, herrschte nichts als ein Chaos von resignierten Soldaten und widersprüchlichen Einsatzbefehlen.
    Sie arbeiteten sich den Berg hoch. Irgend jemand hatte Brückner einen tragbaren Handscheinwerfer gegeben. Seine Beine versanken fast bis zu den Knien im Schnee. Die Schuhe waren längst durchnäßt, und er hatte Mühe mit dem Atmen. Vom Wald hörte man Stöhnen und Schreie. Er blieb stehen. Der Airbus war nicht explodiert, und doch erschien ihm alles unbegreiflich: Wie konnten in diesem Horror von zerfetztem Metall, verkeilten Trümmern, geknickten Bäumen und ölgeschwärztem, eisigem Schnee noch Menschen leben? Was hatten sie in diesen Stunden der Einsamkeit und der Schmerzen alles durchgestanden?
    Und da sah er sie …
    Er wußte, daß sie nicht mehr litt. Niemand brauchte sich um sie zu kümmern. Vielleicht war sie herausgeschleudert worden, vielleicht war sie auch noch bis zu diesem Baum gekrochen. Wie? Auch das war unerklärlich. Denn dort, wo einst ihre Beine waren, gab es nur noch eine Masse blutbesudelten Fleisches.
    Aber ihre Augen! Sie blickten, als wollten sie noch etwas unendlich Wichtiges mitteilen. Die Botschaft schien noch zu leben. Nur – er konnte sie nicht deuten.
    Er beugte sich zu ihr und fühlte mit seinen Händen den kalten Schnee in ihren Haaren.
    Er drückte ihr die Augen zu.
    Der Bus stoppte.
    Brückner stand auf und zwängte sich durch die Tür. Vor ihm das graue Gerüst mit der Segeltuchsichtblende, in ihm das Klopfen seines Herzens. Vor der Öffnung stand ein Guardia in dunkelblauer Einsatzuniform und verlangte Papiere.
    »Den Herrn schickt die Direktion«, erklärte der Chauffeur, der ihn hergebracht hatte.
    Der Polizist gab den Weg frei.
    Brückner holte Atem. In seinem Leben hatte er vielleicht ein Dutzend Unfallstellen gesehen, Berufsroutine könnte man sagen, doch nie waren ihm die Schritte so schwer gefallen wie jetzt.
    Er schob den Stoff zur Seite – und da war er, dieser unverkennbare Geruch, der keine Ähnlichkeit mit anderen Gerüchen hat: Geruch nach verdunstetem Kerosin, verglühtem Aluminium, verkohltem Öl, Gummi und verbranntem Plastik.
    Und da waren sie: Eine MD-80, ein Airbus, oder das, was bleibt, wenn eine MD-80 mit einem Fluggewicht von fünfundvierzig Tonnen mit einer Landegeschwindigkeit von hundertsiebzig Knoten auf einen einhundertfünfzig Tonnen schweren Airbus auftrifft.
    Spanische Arbeiter in blauen und gelben Overalls zerrten Blechteile und Trümmer auseinander, irgendwelche ›Capos‹ mit roten Schutzhelmen auf dem Kopf und Mobiltelefonen in der Hand, dirigierten.
    An der von der Rollbahn abgewandten Seite hatten sie Baubretter auf Böcke gelegt. Darauf lagen irgendwelche wichtige, bereits geborgene Wrackteile. Der von der Hitze zerbröselte Beton knirschte unter Brückners Füßen. Schwarzverbrannt war auch das Gras.
    Die ausgeglühten Fensteröffnungen starrten ihn an. So hoch mußten die Temperaturen gewesen sein, daß sie den mächtigen Kreuzholm der MD-80 zu einer Kurve verbiegen konnten.
    Verwüstung, wo er hinblickte! Vor allem im Heck des Airbusses. Die Nase der MD-80 war schräg in den Boden gerammt wie eine Axt. Es gab so viel zu sehen – und er, er schloß wieder die Augen. Er wollte sich nicht vorstellen, was dort zwischen dem Spantengerippe geschah, als das Feuer kam.
    »He, Brückner!«
    An den Tischen dort drüben winkte einer.
    Es war Raab, der Professor aus Aachen. Er kam ihm entgegen, klopfte ihm auf die Schulter, als würden sie gleich zu einem der Test- oder Abnahmeflüge starten, die Raab so liebte. Raab hatte graues, schütteres Haar, jede Menge Falten im Gesicht und brachte es trotzdem fertig, wie ein kleiner Junge zu grinsen.
    Angst schien der Professor nicht zu kennen. Bei den Probeflügen, die er mit Brückner unternommen hatte, bestand er ständig auf Extremsituationen: »Mensch, Brückner! Was wir

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