mayday mayday ... eastern wings 610
erkennen?«
Vidal warf einen kurzen Blick zu Ferrer. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten. »Die weit entfernten waren nur schwer auszumachen. Doch das bedeutete ja nichts. Die Piloten hatten die Scheinwerfer angestellt. Die Sicherheitsabstände waren immer garantiert. Und wie gesagt, solche Rollbewegungen unter erschwerten Sichtbedingungen werden an anderen Plätzen regelmäßig durchgeführt.«
»Und sie dienten dazu, wie Sie gerade sagten, den Verkehr leichter abzuwickeln? Was verstehen Sie unter leichter?«
Vidal schloß die Augen, als habe er es bei Rebner mit einem begriffsstutzigen Idioten zu tun: »Ich hab' es doch vorhin schon erklärt. In PMI haben wir sechsundfünfzig Stellplätze. Doch der Charter-Terminal und sein Vorfeld waren wegen der Erweiterungsbauten an diesem Morgen außer Betrieb. Das reduzierte die Plätze auf achtunddreißig. Sie waren alle besetzt. Überall hatten wir Maschinen stehen. Selbst auf den Verkehrswegen. Der Zustand war völlig unhaltbar. Wir brauchten Platz. Wir hatten schließlich noch immer Jets, die ihre Warteschleifen flogen.«
Brückner nickte. Wieder war es da, dieses dunkle, leise Pochen an den Schläfen. Er versuchte, sich die Situation vorzustellen. »Deshalb beschlossen wir, die Starts vorzubereiten und die in Frage kommenden Jets auf die Rollwege zu schicken«, hörte er Vidal erklären. »Charly 7 zum Beispiel verfügt über ein ziemlich großes Vorfeld. Groß genug, daß sogar zwei Maschinen darauf Platz finden.«
»Und dann fiel die Entscheidung, die Maschinen im Vierminutentakt starten zu lassen, und zwar abwechselnd von Pistenbeginn und von dem Punkt bei Charly 7 aus?«
»Sie starten zu lassen, sobald es die Sichtverhältnisse zuließen«, korrigierte Vidal. »Das würde sehr bald der Fall sein, darüber waren wir uns alle einig. Uns ging es darum, die Situation zu verbessern, indem wir möglichst viele Maschinen zum Startbahnanfang hochzogen.«
Rebner zog die rechte Braue hoch. Anscheinend kapierte er das nicht. Brückner übersetzte.
»Aha! Und wer hat diese Entscheidung getroffen?«
Die Frage kam so schneidend, als sei sie vom Staatsanwalt gestellt.
»Nun, wer schon?« erwiderte Vidal gelassen. »Die technische Direktion in Übereinstimmung mit dem Tower. Das heißt also, mit den Schichtleitern der Boden- und der Abflugkontrolle.«
»Das war«, Rebner blickte auf seine Uhr, »wenige Minuten nach elf Uhr dreißig.«
Der stöhnende Laut, mit dem Vidal die Luft einsog, sagte alles.
Einen Rebner konnte er allerdings nicht beirren. Wieder schob sich der runde, weißhaarige Kopf nach vorn. »Dann möchte ich doch jetzt endlich von Herrn Vidal wissen, wie es dazu kam, daß er den Condor-Airbus nicht hier«, der dicke Zeigefinger klopfte auf die Flugplatzkarte und machte dabei ein unangenehmes, drohendes Geräusch, »in diesem Warteraum – da gibt's ja tatsächlich ein Vorfeld bei Charly 7, wie ich sehe –, wieso er also die Maschine nicht hier festhielt, sondern sie zu einer Drehung veranlaßte und sie dann in die Intersection hineinschickte. Die Intersection gehört schließlich zur Sicherheitszone des Runways.«
Rebner hat recht, dachte Brückner. Dies war der springende Punkt. Er übersetzte.
»Was immer die Ursache dafür sein mag, daß die MD-80 von ihrem Kurs abkam«, fuhr Rebner fort, »hätte man den Airbus nicht einrücken lassen, wäre die MD-80 noch an ihm vorbeigekommen. Das ist eindeutig. Sie hätte ihn nicht touchiert. Das beweist auch die Lage der Trümmer.«
Vidal schwieg: Die Anklage. Er wußte es. Er hatte sich weit zurückgelehnt. Die Hände blieben ruhig nebeneinander auf dem Tisch.
Es war sehr still geworden. Er hat sich vorher die Situation wohl schon tausendmal überlegt, dachte Brückner. Und er muß sie auch mit seinem Lotsen durchgesprochen haben. Wieso sagt er nichts? Oder hat er sich auf diese Frage tatsächlich nicht vorbereitet? Eigentlich undenkbar.
»Toni.« Es klang wie eine Frage – oder wie eine Aufforderung. Und der Name wurde sehr leise ausgesprochen.
Von Toni Ferrer war nichts zu hören als der rasche Atem und das Knacken seiner Fingergelenke.
»Sie können sich eine solche Situation nicht vorstellen, meine Herren.« Vidal sprach noch immer sehr leise. »Und schon gar nicht nachvollziehen. Sie alle haben keine Tower-Erfahrung.«
»Was hat das damit zu tun?« unterbrach Rebner grob.
Brückner verzichtete darauf, den Satz zu übersetzen. Doch Vidal hatte verstanden. Anscheinend sprach er doch Deutsch, zumindest
Weitere Kostenlose Bücher