mayday mayday ... eastern wings 610
Wiedersehen, Sir. Den Ausgang finden Sie ja allein.«
Keine Frage. Wollte er das? Es blieb wohl keine andere Möglichkeit. Dennoch, vielleicht war es Trotz, vielleicht nur Intuition, die weiße Tür neben der Treppe übte dieselbe Faszination auf ihn aus wie zuvor. Und diesmal war sie nicht verschlossen.
Er drückte die Klinke, sie sprang auf. Eine Sekunde zögerte er. Aber verdammt noch mal, was hatte ihm der Besuch bisher gebracht? – Nichts.
Der Raum war sehr groß. Er nahm das ganze Stockwerk ein. Er bestand im wesentlichen aus Regalen. An den Decken sah er Neonleuchten. Nur eine, die am Eingang, war eingeschaltet. Regale zogen sich an der Wand entlang, andere standen quer, eines hinter das andere gestaffelt.
Die Anstandssekunde war vorüber. Bisher hätte er noch sagen können: Verzeihung, ich habe mich geirrt! Das galt nun nicht mehr. Was er sah, faszinierte ihn zu sehr, als daß er umkehren konnte.
Was Brückner sah, waren Pakete. Große, kleine. Meist ziemlich große Kartons, mit den verschiedensten Aufschriften bedruckt. Verschieden waren auch die Farben, die von Grau, Braun bis zu Orange reichten.
Auf den Zehenspitzen näherte er sich dem ersten Regal. ›Intec-Elektronik‹, las er. ›Santa Barbara, California, USA‹.
Den Namen kannte er: einer der bekanntesten Hersteller von Flugzeugelektronik. Das Intec-Regal reichte von links nach rechts und war gute acht Meter lang, vollgepackt mit Kartons.
Wieder sah er sich um. Für einen Herzschlag lang war es ihm, als hätte er ein Geräusch gehört. Vielleicht waren es weniger die Sinne als der Instinkt, der ihm die Anwesenheit eines anderen Menschen meldete. Gerade hatte er einen der Intec-Kartons in die Hand genommen, den Kopf darübergebeugt, um den kleinen Aufkleber zu lesen, der sich an der rechten, oberen Ecke befand.
Ein einziges Wort. Und eine Datumsangabe.
Das Wort lautete: ›Global Wings‹. Und der Tag: der 12. September.
Vielleicht war er zu neu in diesem Geschäft, vielleicht wäre es Routine gewesen, auf die es nun ankam, vielleicht hätte er die Mikrokamera zücken sollen, er aber – er stand nur da. Er hörte sie nicht. Vielleicht war es eine Ahnung, vielleicht ihr Parfum. Er ließ das Paket fallen wie ein ertappter Dieb und wirbelte herum.
Und da stand sie.
Der erste Gedanke, den er hatte: Verdammt, laß dir was einfallen! Der zweite: Ist das ein hübsches Gesicht … Es war das Gesicht des Mädchens, das am Vormittag noch zusah, wie er die Stoßstange an ihrem Wagen befestigte.
»Hallo!« grinste Brückner, um dann den dümmsten Satz zu sagen, den man in dieser Situation aussprechen konnte: »Ich glaube, ich habe mich in der Tür geirrt.«
»Das allerdings glaube ich auch«, erwiderte sie.
Er fühlte keinen großen Appetit an diesem Donnerstag abend. Bei Gott nicht! Doch er hatte Bruno versprochen, Rebekkas einzigartige Hasenpastete in Essig zu versuchen. Und so saß er nun auf Brunos Ledercouch am offenen Fenster, behielt mit Mühe das Thema ›Lidell‹ für sich und trank Brunos Bier. Die Pastete war wirklich exzellent gewesen.
Er verabschiedete sich früh, obwohl Bruno darauf bestand, er müsse sich unbedingt Powells ›Miami-Night-Show‹ ansehen. Draußen hatte der Nachtrummel eingesetzt. Horden von Touristen. Dazu der übliche laute Coconut-Auftrieb. Brückner war froh, als er den VW-Bus in Richtung Coral Gables steuern konnte.
Hier war es angenehm ruhig.
Er schloß Mr. Murrays Haus auf, versuchte sich ein bißchen wie Mr. Murray zu fühlen, indem er gemessen zum Eisschrank der großen Eckbar schritt und ihn öffnete. Johnny, Rebekkas Bruder, mochte an alles gedacht haben – die Gläser blitzten, sein Bett im Gästezimmer war frisch bezogen. Eines war ihm allerdings entgangen: außer einer Flasche Cola herrschte im Eisschrank Wüstenleere …
Die Cola würde reichen. Er fühlte sich zerschlagen und hundemüde.
Er knipste den Sony an, um wenigstens noch das Ende von Powells ›Miami-Night-Show‹ mitzubekommen, die Bruno ihm so schwärmerisch empfohlen hatte. Doch CBS brachte Nachrichten. Auf dem Bildschirm erschien ein erschöpfter Präsident, der mit verschwollenen Augen und müder Stimme davon sprach, daß Amerikas Mittelstand nun endlich geholfen werden müßte.
Das Telefon läutete.
Er schaltete das Fernsehgerät ab und blickte auf seine Uhr: 21 Uhr 15. Wer rief um diese Zeit an? Bruno? Vielleicht dieser Murray? Wie sollte er sich dann melden?
Zögernd hob Brückner ab.
Weder Bruno noch Murray waren am
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