mayday mayday ... eastern wings 610
Apparat, sondern die Stimme einer Frau.
»Verzeihung. Spreche ich mit Mr. Brückner?«
»Ja.«
Er kannte die Stimme, angenehm war sie, irgendwie ruhig und doch entschlossen. Aber sicher, er hatte sie schon gehört.
»Ich hoffe, daß ich Sie nicht störe.«
»Durchaus nicht. Vielleicht könnten Sie …«
Ein kurzes, fast unmerkliches Zögern. »Mein Name ist Mary. Er mag Ihnen ein bißchen kurz vorkommen, aber wir sollten es im Moment dabei belassen.«
»Gut. Woher haben Sie meine Nummer?«
»Von einer Kollegin. Sie war gerade dabei, sie in den Computer zu speichern. Und da habe ich nachgefragt.«
»In den Computer?«
»Lidell Aircraft Corporation«, sagte die fremde Frau am anderen Ende der Leitung.
»Ah ja?« Er erinnerte sich, wie er nach dem Gespräch mit Lidell Murrays Nummer auf seine Visitenkarte schrieb und sich noch fragte, ob er damit nicht eine Riesendummheit beging.
»Mr. Brückner, darf ich Sie fragen, was Sie heute bei der Lidell Corporation wollten?«
»Dürfen Sie. Logisch. Eine Antwort allerdings können Sie kaum erwarten. Ist ein bißchen viel verlangt. Finden Sie nicht?«
»Mag sein«, gab sie zu. Ihre überraschende Sicherheit war nicht verschwunden. Nur die Worte klangen etwas leiser. Ganz schön taff, dachte Brückner. Leichter spanischer Akzent. Jung – eine Latina. Eine von der hellen, intelligenten Sorte. Wer also?
Und dann fiel es ihm ein.
Er hätte schon in der ersten Sekunde darauf kommen müssen: das Mädchen mit dem Stoßstangenproblem. Das Mädchen aus dem Erdgeschoßraum! Das Mädchen mit den Mahagonihaaren, dem rassigen, breitknochigen Gesicht, den Irrsinnsaugen …
»Falls Sie nichts dagegen haben, Mr. Brückner, will ich Ihnen eine Frage stellen: Sie sind doch von der Polizei?«
»Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Rufen Sie mich im Auftrag Ihrer Firma an?«
Sie lachte. Kurz war das Lachen. Kurz und böse. »Das nun wirklich nicht.«
Er sah sie wieder dort im Halbdunkel zwischen den Regalen. Dann sah er sie wieder aus ihrem alten Auto steigen, Kopf und Haare schütteln. Braungebrannt. Mit langen Beinen. Na, großartig. Und jetzt hatte er sie also am Telefon? Das Problem blieb: Wieso?
»Tut mir leid, falls ich Sie enttäusche. Ich bin nicht von der Polizei.«
»Wie war das heute mittag, als Sie in Ihrem VW saßen? Zufall, nicht wahr? Und dann später, was war denn so wichtig für Sie in unserem Elektroniklager? Fragen wir anders: Sind Sie Privatdetektiv?«
»Wieso ist das wichtig für Sie?«
Sie lachte. Irgendwie war ihm nicht wohl bei diesem Lachen. Die Sache wurde seltsam.
»Sie haben mich gefragt, ob mich mein Chef beauftragt hat? Ich kann Ihnen die Antwort geben: Genau das Gegenteil.«
»Ah so? Ich glaube, ich fange an zu kapieren, auch wenn Sie's einem nicht ganz einfach machen. Wie wäre es denn, wenn Sie sich ein bißchen klarer ausdrückten?«
»Nicht am Telefon.«
Brückners Gehirn arbeitete nun sehr schnell. Er entschied sich für einen Schuß ins Blaue: »Kennen Sie den Namen Global Wings? Ersparen Sie's mir bitte, Sie Mary zu nennen, ein Nachname wäre mir lieber. Aber trotzdem, haben Sie das Firmenlogo ›Global Wings‹ schon mal gehört?«
Pause.
Dann: »Ja.«
Schlicht und einfach – ja.
»Wären Sie bereit, mit mir über dieses Wort zu sprechen?«
»Vielleicht. Wie gesagt, nicht am Telefon. Das geht nicht.«
»Ist mir klar.«
Wieder eine Pause. Und eine neue Frage: »Arbeiten Sie für das NTSD?«
»Auch nicht. Aber Sie haben eine gute Nase. Vielleicht könnte man sagen, daß ich tatsächlich eine Art Privatdetektiv bin. Deshalb sagen Sie mir bitte, wo und wann wir uns treffen können?«
»Heute abend«, sagte sie. »Wenn es irgendwie geht, bleiben Sie heute abend zu Hause. Ich ruf Sie wieder an.«
»Heute abend? Das ist ein großer Begriff. Vor allem in Miami.«
»Zwischen neunzehn und zwanzig Uhr, okay?«
Ein Klicken. Sie hatte aufgehängt.
Der Block war mit einer Reihe bunter Balkone, die von Orange bis zu hellem Violett reichten, aufgewertet worden, nachdem ein privater Investor den Sozialbau der Stadt abgekauft hatte und als Luxusobjekt vermieten wollte. Der private Investor war pleite gegangen. Präziser, man hatte seinen Partner und Geldgeber mit einer Kugel zwischen den Ohren in seinem halb im Morast versackten Cadillac in den Everglades gefunden. Da Leichen nicht erzählen können, wo man Geheimkonten unterbringt, mußte die Modernisierung aufgegeben werden.
Maria Rosario war das ziemlich gleichgültig.
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