mayday mayday ... eastern wings 610
gesagt, viel Spaß!«
Sie lachte noch mal und war draußen.
Mercedes wohnte mit ihrer Mutter Anna Maria am Rande von Little Havana, in einem der reichlich heruntergekommenen Apartmentblocks, die in den fünfziger Jahren im Rahmen des Veteran Housing Programs für die Kriegsteilnehmer des Zweiten Weltkriegs zusammengeschustert worden waren. Immerhin, die Wohnung hatte drei Zimmer. Es gab sogar einen kleinen Basketballplatz und ein paar Schaukeln für die Kinder. Der Rest – Beton!
Es wurde Abend, als Maria den Wagen im Hof abstellte. Die Straßenlampen begannen mit ihrer Arbeit, und auch im Haus leuchteten die ersten Lichter auf. Sie sah sich um. Wie sie das alles kannte! Die Abfalltonnen. Der Fahrradständer. Wenigstens die Botschaft ›Feuer anmachen und kochen im Hof ist strikt untersagt‹ war inzwischen überpinselt worden.
Damals, nachdem Dad und ihr die Flucht gelungen war – sie war gerade elf – hatte Jorge Adrover, Mercedes' Vater, sie aufgenommen. Ihre Erinnerung hatte diese Irrsinnstage nie mehr zusammengebracht; es war einfach zuviel gewesen, war wie Achterbahnfahren oder wie eines dieser Kinderpapprohre, in denen man immer neue Formen und Farben zusammenstellen kann. Es war grausam und herrlich – und zuviel.
»Mami!«
Grausam und zuviel? Toni! Nun kam ihr Sohn über den Hof gerannt, denselben Hof, auf dem sie ihren ersten Baseballschläger schwang, den Hof, der ihre ersten Flirtversuche mitbekommen hatte. Ihr Sohn. Atemlos. Auf seinen schnellen, stämmigen Beinen.
»Mami, Mami! Ich habe 'nen Freund, der will mein Skateboard gegen ein Surfbrett tauschen.«
»Ach, nein!«
»Mami, ich hab' schon drei Freunde. Mami, wir bleiben doch hier, oder?«
»Mal sehen.«
»Mami, das sind so tolle Kerle!«
»Wirklich? Wo ist Conchi?«
»Oben bei Mercedes. Ihre Mutter kocht.«
Anna Maria Adrover stand in der Küche in einer Wolke, die im wesentlichen aus Knoblauch-, Paprika-, Schweins- und Bohnengeruch bestand.
Mercedes sah sie an. »Na, wie war's?«
»Frag mich nicht.«
»Du hast noch deinen Koffer in der Wohnung.«
»Ich weiß. Dazu ist das der Koffer mit meinem besten Fummel. Ich fahr' gleich los, ihn holen. Könnte ich mal telefonieren?«
»Aber klar doch.«
Sie setzte sich in den Ohrenbackensessel in der Ecke und griff zum Telefon und legte den Hörer wieder zurück, denn sie hatte vergessen, die Nummer herauszukramen. Hier – nach den beiden ersten Zahlen zu urteilen, mußte der Typ in Coral Gables wohnen.
Sie tippte die Nummer ein. Und da war er.
»Na endlich!«
»Wieso?«
»Wieso, wieso? Ich hänge hier rum wie ein Idiot und warte, daß das Telefon geht. Und das noch mit einem geradezu unmenschlichen Durst.«
»Haben Sie nichts im Haus?«
»Coca Cola.«
Sie lachte. »Mein Beileid. Sie Armer.«
»Genau. Warum kommen Sie nicht sofort hierher und bringen eine Flasche JB oder irgendeinen Wein mit, der Ihnen schmeckt? Bier tut's auch. Ich wohne …«
»Weiß schon, Coral Gables.«
»Na, wenn Sie das auch noch wissen, müßte Ihnen ja auch klar sein, daß ich nicht nur Durst, sondern auch Hunger habe.«
»Das ist alles furchtbar traurig, aber machen wir's kurz: Ich kann nicht. Und in eine Privatwohnung gehe ich sowieso nicht! Wir müssen uns schon irgend woanders treffen.«
»Auf neutralem Boden, was?«
»Richtig. Kennen Sie das ›Omni‹?«
»Den Supermarkt?«
»Nein, das Hotel. Es ist dasselbe Areal. Im ›Omni‹ gibt's eine Teestube. Es ist jetzt acht Uhr dreißig. Sagen wir um zehn. Vielleicht habe ich bis dahin auch Hunger. Dann können Sie mich ja einladen.«
»Okay. Abgemacht.«
»Bis später.« Sie hörte es knacken, betrachtete nachdenklich den Hörer und legte auf.
Laut wie nie zuvor klickten Marias Absätze auf dem Parkettboden. Und als sie sich eine Zigarette anzündete und dabei husten mußte, warfen die kahlen Wände ein Echo zurück. Leere Wohnungen, fand sie, sind wie tote Leute: Nichts mehr erinnert, daß sie einmal zu dir gehört haben.
Doch warmes Wasser bleibt sich immer gleich.
Sie drehte die Hähne voll auf, nahm ihren Kosmetikkoffer aus dem Einbauschrank, trug ihn ins Bad, schleppte den Koffer mit den Kleidern hinterher. Schließlich gab es hier den einzigen Spiegel. Sie riß sich die verschwitzten Kleider vom Leib und tauchte in die Wanne. Als würde das nicht reichen, duschte sie sich anschließend kalt, ließ die Strahlen peitschen. So viel war abzuwaschen: der Tag, eine ganze verfluchte Ehe … Sie trocknete sich ab und begann sich dann mit
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