Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
Arbeit, die Mayra sich lieber nicht zumuten wollte. Sie war mit dem Handhaben von Gegenständen nicht übermäßig geschickt und traute es sich ohne Weiteres zu, dass bei ihr die Axt in ihrem Bein, statt in dem zu spaltenden Holzstück landete. Djuma wiederum verrichtete die Arbeit scheinbar mühelos, mit der ihm eigenen, selbstsicheren Eleganz. In Mayra stieg ein wenig Panik hoch. Wie sollte sie bei diesem Mann mithalten, als kleines, ungeschicktes Schulmädchen? Sie hörte ihre eigenen Gedanken – und musste plötzlich grinsen. Ihre Angst war nicht neu, aber auf einmal war sie nicht mehr so beklemmend. Ob das von Myrddins Bemerkung kam, Gefühle dürften sein – also auch ihre Angst?
Der alte Heiler kam mit einem Stoffsäckchen und einem Tonbecher in der Hand zurück. „Grünbeeren!“, erklärte er, während er vier Früchte, die in der Tat grün waren, aus dem Säckchen nahm und Mayra zum Mitnehmen überreichte. Danach zeigte er ihr, wie man die getrockneten Beeren mit den Fingern zerrieb und gab sie in den Tonbecher, in den er dann heißes Wasser schöpfte. „Ein bisschen warten. Und dann trinken. Langsam!“, wies er Mayra an, die den heißen Becher vorsichtig entgegennahm.
Sie blies darüber, um den Tee abzukühlen, und der Gedanke an ihre Mutter blitzte auf. Cassiopeia würden wahrscheinlich zum ersten und letzten Mal im Leben die Worte fehlen, bekäme sie je mit, dass Mayra etwas trank, was weder unter sterilen Bedingungen hergestellt noch aufbewahrt wurde. Einen Augenblick zögerte Mayra. Vielleicht hatte ihre Mutter ja Recht mit ihrer Vorsicht? Was wenn sie nun aufgrund des Tees eine schlimme Krankheit bekam? Irgendwie kam ihr selbst das aber unwahrscheinlich vor. Außerdem wollte sie wissen, wie Medizin auf Terrestra funktionierte. Es selbst auszuprobieren, war die bestmögliche Gelegenheit! Vorsichtig nippte sie an dem Tee. Er schmeckte gut, leicht säuerlich.
Myrddin sah sie sehr aufmerksam an. „Heilen braucht Zeit. Geduld. Viel Liebe. Manche lernen es nie.“
Mayra hatte den Eindruck, dass Myrddin sie mit seinem Blick fast schon festnageln wollte. Sie hielt sich an dem Becher fest und fand den Mut ihm gerade in die Augen zu blicken. „Dass es Zeit braucht, ist mir schon klar. Ob ich das Herz dazu habe, müssen andere entscheiden. Und ob ich es lerne, wird sich dann schon zeigen!“, erwiderte sie.
Myrddin lachte in sich hinein, dann sagte er, immer noch sehr eindringlich: „Es braucht Jahre. Ich nehme wenige Schüler. Es geht nicht darum zu wissen, dass Grünbeerentee die Durchblutung fördert. Das ist die Grundlage, Arzneien und ihre Wirkung zu kennen. Aber ein Tee bekämpft nicht die Ursache einer Krankheit. Du kannst Grünbeerentee trinken, dein ganzes Leben lang und immer wirst du kalte Füße haben. So lange, bis du deine Angst aufgibst, Lebensmut findest. Anfängst zu lieben und aus Liebe zu handeln!“
Myrddins Worte trafen Mayra wie ein Schlag. Sie war zu ängstlich? Sie war unfähig zu lieben? Was warf ihr der Alte da vor? Betroffen starrte sie auf den Boden, weg von Myrddins forschendem Blick. Dann gestand sie sich ein, dass er gar nicht mal so Unrecht hatte. Ja, sie hatte oft Angst. Nachdenklich schaute sie zu Djuma hinüber, der immer noch Holz hackte. Mayra spürte, wie ihr warm wurde, wie sehr sie sich darüber freute, dass Djuma einfach nur da war, da drüben war, und sie spürte, wie sehr sie ihn mochte. Sie wandte sich wieder Myrddin zu, der sie genau beobachtet hatte. Ein leichtes Lächeln zog sich nun über sein Gesicht, und er meinte: „Wenn du etwas wissen willst, kannst du auch ihn fragen. Ich habe deinem Freund alles beigebracht, was ich selbst weiß.“ Das war neu für Mayra. Djuma hatte ihr zwar die rosa Heilpflanze gezeigt, aber dass Myrddin mehr als nur ein väterlicher Freund war und dass Djuma selbst ein Heiler zu sein schien, hatte er ihr verschwiegen.
Während Mayra nachdenklich zu Djuma hinübersah, stand Myrddin auf und kam mit einem Säckchen aus grobem Stoff und einer Tonschale zurück. Er setzte sich neben sie und zeigte Mayra, wie sie die Samen aus den getrockneten Blüten lösen konnte, die er in die Tonschale rieseln ließ. Dabei erklärte er: „Das sind Sonnenblüten. Die Samen helfen zerstoßen als Mittel bei Husten und auch bei chronischer Traurigkeit.“ Mayra hatte den Trick schnell raus, wie sie die Samen in ihren Kapseln am besten aneinanderrieb, damit sie sich lösten. „Ich kann dir nicht alles auf einmal beibringen, aber ich kann deine
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