Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
ihrer eingerissenen Kleidung. Der alte Mann, der schon wieder etwas reparierte und dem die Hälfte seiner Zähne fehlte. Rinzi trat vor das Wohnhaus, und wieder fiel Mayra auf, um wie viel älter sie aussah, als sie eigentlich sein konnte, mit ihren grauen Haaren und ihren jungen Gesichtszügen, in die sich tiefe Falten gegraben hatten. Man begrüßte sich. Die Besucherinnen stiegen ab und folgten Rinzi nach drinnen. „Wie dunkel es hier ist!“, dachte Mayra plötzlich. Bei ihrem ersten Besuch war ihr kaum aufgefallen, wie klein die Fensteröffnungen waren, dass es nur drei davon gab, und alle waren sie nicht verglast. Mayra musste husten. Der Wind hatte auf die Öffnung im Dach gedrückt und ihr den Rauch des Herdfeuers direkt ins Gesicht geblasen. Was war das für ein Unterschied im Leben eines Terrestraners, ob er im Palast oder in einem Bauernhaus wohnte!
Während Ursula Stoffe begutachtete, setzte Rinzi sich wieder an ihren Webstuhl. Mayra ging zu ihr hin. Wenn sie schon hier war, konnte sie auch recherchieren. Dann war ihr Großvater, dann war ihre Mutter glücklich und keiner würde nachfragen, was sie den Tag über machte, wenn, ja wenn Djuma wieder Zeit hatte. „Falls er wieder Zeit hat!“, dachte Mayra düster.
Schüchtern erklärte Rinzi sich bereit, Mayras Fragen zu beantworten. Das Interview stellte sich allerdings als ausgesprochen mühsam für beide Frauen heraus, teils weil Rinzi einen Dialekt sprach, den Mayra nicht gut verstand, teils weil Rinzi überhaupt nicht begriff, worauf Mayra hinauswollte. Mayra reimte sich schließlich zusammen, dass Rinzi über ihr Heimatdorf noch nie hinausgekommen war, den König nur vom Hörensagen kannte und Philippus in der Dorfgemeinschaft eigentlich auch keine Bedeutung hatte. Was es zu regeln gab an Streitigkeiten, kam vor den Ältestenrat. Der entschied und zwar endgültig. Einmal im Jahr brach ein Abgesandter des Dorfes mit ihren Abgaben auf zur Tributzeremonie. Gelegentlich besuchte einer der Männer den Markt in der Stadt, um Dinge einzukaufen, die sie selbst nicht herstellen konnten, Salz zum Beispiel, und selbst hergestellte Handwerkssachen wie Rinzis Webwaren zu verkaufen. Aber keine der Frauen hatte jemals die Grenzen ihrer Ländereien überschritten. Rinzi wollte das auch gar nicht. Wer hätte denn dann auf die Kinder aufpassen sollen.
Zurück in der Mission schaute Mayra zuerst nach Halda. Die hatte sich den Tag über einen dicken Grasbauch angefuttert, aber sie lahmte nicht. Mayra ging in ihr Zimmer, um sich Notizen über Terrestra zu machen, saß da aber nur lustlos vor ihrem Computer und brachte nichts Rechtes zustande. So war sie froh, dass Fredi sich meldete. „Wie geht es? Was machst du so? Hier ist es saulangweilig!“ Fredi sprühte vor Energie.
„Recherchen. Schulaufgaben, das mache ich!“ Mayra schnitt eine Grimasse. „Ich war heute in dem einen Dorf. Bei der Weberin von Ursula, der Rinzi. Und, weißt du, mir ist aufgefallen, dass ich mit Unionia echt Glück habe. Auch mit meiner Mutter, ehrlich gesagt.“
„Aha? Das ist aber mal ganz etwas Neues. Erzähl!“ Fredi wurde neugierig. „Diese Rinzi weiß noch nicht mal, dass sie eine Wahl hat. Die kriegt ein Kind nach dem anderen, arbeitet sich kaputt und sieht mit 30 Jahren aus wie mit 60. Und es sprengt komplett ihr Vorstellungsvermögen, dass sie auch anders leben könnte.“
Fredi war nicht überzeugt. „Na, aber die Föderation schreibt uns doch auch die Berufswahl vor! Wo ist da der Unterschied?“
Mayra seufzte. „Nicht ganz, sie schreibt sie uns nicht ganz vor. Mit ein bisschen Glück kann man ja drauf Einfluss nehmen. Vor allem geben sie sich Mühe, einen Beruf zu finden, in den man reinpasst, in dem man gut ist, der Gemeinschaft nutzt. Was wenn Rinzi die geniale Mathematikerin sein könnte, die die Quadratur des Kreises erfindet? Oder das ultimative Kunstwerk schafft, das alle Menschen zu Tränen rührt und sie nie, nie wieder streiten lässt, so gerührt und friedfertig macht es sie.“
„Oups, eine fast schon beängstigende Vorstellung, aber, ja, ich versteh, was du meinst. Und wie war das mit der Liebe?“ Es war aussichtslos wie immer, Fredi von einer Gedankenfährte abzubringen. Dazu hatte er ein zu gutes Gedächtnis.
Mayra spürte, wie sie rot wurde. Fredi sah das natürlich. „Wir haben uns geküsst!“ Und dann sprudelte alles aus Mayra heraus, was sie an dem Tag mit Djuma erlebt hatte.
„Hej, das freut mich für dich!“, war Fredis herzliche
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