Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
wenig nahrhaft. Auf so einer Weide muss man mit seinem Vieh schnell weiterziehen, damit man die Wurzeln der Gräser nicht zerstört.“ Myrddin legte seinen erst halb fertigen Korb weg und widmete Mayra seine volle Aufmerksamkeit. „Das Zelt der Familie zieht ein Pferd oder eine Kuh oder ein Esel; und dieses eine Tier ist ihr kostbarster Besitz. Es sind schon ganze Familien auf der Steppe verhungert oder erfroren, weil ihnen dieses Zugtier eingegangen ist oder es gestohlen wurde. Das ist der Grund, warum die Steppenbewohner den Diebstahl eines Pferdes so hart bestrafen. Wer ein Pferd stiehlt, muss damit rechnen getötet zu werden.“
Mayra verstand das überhaupt nicht. „Aber das ist doch unmenschlich!“, rief sie.
Myrddin sagte sanft: „Aus der Sicht der Steppenbewohner ist es noch viel unmenschlicher, eine Familie umkommen zu lassen. Es mag nicht deine Antwort sein, Mayra, es mag nicht meine Antwort sein, den Diebstahl eines Pferdes mit dem Tod zu bestrafen. Aber so haben es die Steppenbewohner für sich bestimmt – und der König achtet ihre Gesetze. Er schützt ihre Gesetze.“
„Und Ragnar macht, was sein Vater ihm sagt. Das kann doch nicht sein! Wie viele Menschen hat er denn schon auf dem Gewissen?“ Mayra war außer sich! Wie konnte Myrddin so ruhig bleiben?
„Dein Freund hat niemanden auf dem Gewissen, Mayra. Seit Ragnar der oberste Richter ist, wurde ihm bisher noch kein Todesurteil vorgelegt.“
„Und was hast du ihm gesagt, Myrddin? Für den Fall, dass es vorkommt, so wie gestern?“
Myrddin hob leicht spöttisch die Augenbrauen. „Dem anderen sagen, was er zu tun hat? Hat das schon jemals etwas gebracht?“
Mayra hielt es nicht mehr aus. Sie sprang auf.
In diesem Augenblick sah sie den Prinzen auf Thandril in die Lichtung vor der Höhle einreiten. Er ritt heran, grüßte kurz und brachte sein Pferd in den Unterstand. Spannung lag in der Luft. Mayra und Djuma gingen ein paar Schritte zur Seite zu den Apfelbäumen, wo Myrddin sie nicht hören konnte. „Kannst du mir mal bitte erklären, wie man jemand zum Tod verurteilen kann?“, fragte Mayra, als sie dort ankamen. Sie merkte, dass sie sich im Ton vergriff, schaffte es aber nicht, sich zu stoppen.
Djuma atmete einmal kurz durch, und Mayra spürte, wie er sie abblockte, sich hinter die Maske des Prinzen zurückzog. Scheinbar gleichmütig antwortete er: „Man kann es, wenn man seine Völker respektiert. Ihre Gesetze respektiert. Ich habe untersucht, ob der Angeklagte schuldig ist, und er war es. In diesem Fall das Urteil, das über den Dieb von seinen eigenen Leuten verhängt worden war, zu bestätigen, das war meine Aufgabe!“
„Das ist doch dasselbe! Urteil bestätigen und Urteil aussprechen!“, rief Mayra. An Djumas Fassade kratzte das wenig. Geradezu provozierend ruhig sah er sie an. „Der König kann so ein Urteil doch aufheben“, versuchte Mayra es weiter. „Das meinte jedenfalls mein Großvater. Stimmt das?“
„Ja“, bestätigte Djuma und sagte sonst nichts, was Mayra noch mehr in Rage brachte.
„Also könntest du das auch? Das Urteil aufheben?“
„Richtig“, bestätigte der Prinz ein weiteres Mal höchst sachlich.
„Dann tu das doch!“, rief Mayra.
Djuma verschränkte die Arme vor der Brust. „König Philippus hat die Macht, sich über die Gesetze, die sich die Gemeinschaften gegeben haben, hinwegzusetzen. Aber er tut es nicht.“ Djuma kam Mayra fast schon erbarmungslos vor, als er weiter ausführte. „Und ich tue es auch nicht. Ich respektiere die Gesetze meiner Untertanen. Ich mache sie nicht.“
„Und du willst ein Heiler sein!“, entfuhr es Mayra. „Wie kannst du nur!“, knallte sie ihm an den Kopf. Schwer atmend sah sie Djuma an.
Djuma trat einen Schritt zurück. Er löste seine Arme und seine Augen waren plötzlich weich. „Mayra, ich will nicht verantwortlich sein für den Tod eines Menschen. Aber ich bin nur der Stellvertreter meines Vaters – und was der König will, ist eindeutig.“
„Der König! Der König!“, blaffte Mayra. Sie war kein bisschen beruhigt. „Zählt nur, was der König will? Zählt nur diese eine Person auf Terrestra? Zählt überhaupt nicht, was du willst, Djuma?“ Der antwortete nicht sofort und Mayra setzte nach: „Was willst du? Was willst du selbst?“ Sie wollte es wirklich wissen.
Djuma antwortete ihr sehr entschieden: „Was ich selbst will, ist, kein Prinz von Terrestra zu sein. Was ich selbst will, ist, nicht die Verantwortung eines Statthalters zu
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