McCreadys Doppelspiel
Chef lakonisch. »Wenn Sie gehen, dann gehen Sie auf eigene Gefahr.«
Also bereitete sich McCready darauf vor, unter diesen Bedingungen zu gehen. Er hoffte nur, daß Gorbatschow sie nicht kannte. Er brauchte drei Tage, um die Planung abzuschließen.
Am zweiten Tag rief Joe Roth Calvin Bailey an.
»Calvin, ich bin gerade von Alconbury zurückgekommen. Ich finde, wir sollten uns mal unterhalten.«
»Sicher, Joe, kommen Sie rüber.«
»So eilig ist es eigentlich auch wieder nicht. Aber vielleicht darf ich Sie morgen abend zum Essen einladen?«
»Klingt verlockend, aber Gwen und ich haben einen ziemlich vollen Terminkalender. Heute habe ich übrigens im Oberhaus zu Mittag gegessen.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Mit dem Chef des Generalstabs.«
Roth staunte. In Langley war Bailey kühl, distanziert, skeptisch. Kaum ließ man ihn in London frei herumlaufen, schon führte er sich auf wie ein Kind im Bonbon-Laden. Aber warum auch nicht. Schließlich würde er schon in sechs Tagen in Budapest sein.
»Calvin, ich kenne da ein herrliches altes Gasthaus, ein Stück die Themse hinauf in Eton. Die haben phantastische Fischgerichte. Es heißt, daß Heinrich VIII. Anne Boleyn immer den Fluß hinauf rudern ließ, um sich dort heimlich mit ihr zu treffen.«
»Wirklich? So alt? Okay, aber wissen Sie, Joe, morgen abend sind wir in Covent Garden. Der Donnerstag wäre frei.«
»Also gut, Calvin. Abgemacht. Ich hole Sie um acht ab.«
Tags darauf schloß Sam McCready seine Vorbereitungen ab. Als er schlafen ging, dachte er daran, daß es womöglich seine letzte Nacht in London war - die allerletzte.
Am nächsten Tag kamen mit verschiedenen Flügen drei Männer nach Moskau. Als erster traf Rabbi Birnbaum ein. Er kam mit der Swissair aus Zürich. Der Beamte der Paßkontrolle auf dem Flughafen Scheremetjewo war vom Grenzschutz-Direktorat des KGB, ein junger Mann mit strohblondem Haar und eiskalten blauen Augen. Er musterte den Rabbi ausgiebig und sah sich dann seinen Paß an. Er war amerikanisch und wies seinen Besitzer als Norman Birnbaum aus, Alter 56 Jahre. Wäre der Offizier älter gewesen, hätte er sich an die Zeiten erinnert, als es in Moskau wie überall in Rußland viele orthodoxe Juden gegeben hatte, die wie Rabbi Birnbaum aussahen. Der Rabbi war untersetzt und trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Sein Vollbart war buschig und ergraut. Auf dem Kopf hatte er einen schwarzen Homburg, und seine Brillengläser waren so dick, daß die Pupillen nur unscharf zu sehen waren. Unter der Hutkrempe hingen graue Korkenzieherlocken beiderseits des Gesichts herab. Das Paßfoto war ziemlich genau, zeigte den Mann allerdings ohne Hut. Das Visum war in Ordnung, ausgestellt vom sowjetischen Generalkonsulat in New York. Der Offizier sah wieder auf.
»Was ist der Zweck Ihres Aufenthalts in Moskau?«
»Ich möchte meinem Sohn einen kurzen Besuch abstatten. Er arbeitet hier in der amerikanischen Botschaft.«
»Einen Moment bitte«, sagte der Offizier. Er stand auf und verschwand. Man konnte sehen, wie er sich hinter der Glastür mit einem Vorgesetzten beriet und dieser sich den Paß ansah. Orthodoxe Rabbis waren eine Seltenheit in einem Land, in dem die letzte Talmudschule schon vor Jahrzehnten abgeschafft worden war. Der jüngere Offizier kam zurück.
»Bitte warten.« Er winkte den nächsten Passagier heran.
Es wurden Telefongespräche geführt. Jemand in Moskau sah eine Diplomatenliste durch. Der ranghöhere Offizier kam mit dem Paß in der Hand zurück und flüsterte dem anderen etwas zu. Offenbar gab es einen Roger Birnbaum in der Wirtschaftsabteilung der amerikanischen Botschaft. In der Diplomatenliste stand nicht, daß sein Vater im Ruhestand in Florida lebte und vor zwanzig Jahren beim Bar-Mizwa seines Sohnes zum letzten Mal in einer Synagoge gewesen war. Der Rabbi wurde durchgewinkt.
Trotzdem kontrollierte der Zoll seine Reisetasche. Sie enthielt die üblichen Hemden, Socken und Unterhosen zum Wechseln, einen zweiten schwarzen Anzug, Waschzeug und ein Exemplar des Talmud in Hebräisch. Der Zollbeamte blätterte gereizt in dem Buch und ließ den Rabbi gehen.
Mr. Birnbaum fuhr mit dem Aeroflot-Bus in die Stadt und zog überall neugierige oder amüsierte Blicke auf sich. Von der Endhaltestelle ging er zu Fuß zum Hotel National am ManegePlatz, suchte die Toilette auf, stellte sich an ein Urinbecken, bis der einzige andere Benutzer gegangen war, und schloß sich dann in einer Kabine ein.
Das
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