McDermid, Val
nur, weil er etwas tat, was Männer seit Jahrhunderten
taten. Was dachten sie denn, woher all diese Vogeleier in den Museen kamen? Das
waren keine Nachbildungen aus Plastik. Sie waren echt, Eier, die von
Liebhabern wie ihm gesammelt wurden.
Als er sicher war, dass ihm
niemand folgte, bog er auf die Straße ein, die um den Stonegait-Stausee
herumlief. Wie meistens war hier kein anderes Fahrzeug unterwegs. Jetzt, da die
neue Talstraße gebaut war, gab es keinen Grund, diese Route zu wählen, es sei
denn, man wollte im Wald wandern. Bei der Menge sehr schöner Wege, die es in
dieser Gegend gab, entschied sich aber kaum jemand für einen Spaziergang durch
die hohen dichten Kiefernbestände, in denen es keine schöne Aussicht und kaum
interessante Flora oder Fauna gab. Barton war ziemlich sicher, dass er das
Gebiet für sich allein haben würde.
Es war ein großartiger Tag
dafür, die Sonne tanzte auf dem Wasser wie ein spiegelblanker Ball. Kaum ein
Windhauch, ein deutlicher Vorteil, wenn man eine verdammt hohe Kiefer besteigen
wollte. Barton fuhr nach der letzten Biegung langsamer und vergewisserte sich,
dass niemand in der Nähe war. Als er sich davon überzeugt hatte, hielt er etwa
zweihundert Meter vor der Forststraße auf dem Seitenstreifen an. Er stieß noch
etwas zurück, damit der Bewuchs sein Nummernschild verdeckte. Das würde
niemanden abhalten, der ihn gründlich überprüfen wollte, aber es würde seine
Identität vor zufällig vorbeikommenden Wanderern schützen. Dann griff er nach
seinem Rucksack und ging zügig los.
Als Barton auf den Forstweg
einbog, schaute er noch einmal über die Schulter zurück, ob er wirklich alleine
war. Den Blick vom Weg abzuwenden, auf dem er ging, erwies sich als schwerer
Fehler. Er stolperte über etwas und taumelte in einer halb gebückten Haltung.
Endlich fasste er wieder Tritt und schaute nach unten, um zu sehen, woran sein
Fuß hängengeblieben war.
Derek Barton war stolz darauf,
recht hart im Nehmen zu sein. Aber dies ging doch über das hinaus, womit er
problemlos fertig werden konnte. Er stieß einen Schrei aus und torkelte
rückwärts. Das schreckliche Bild schien sich seinem Gehirn einzubrennen und war
noch genauso überdeutlich, als er sich die Augen zuhielt.
Er machte auf dem Absatz kehrt
und flüchtete zu seinem sicheren Wagen. Mit quietschenden Reifen machte er
eine scharfe Kehrtwendung. Er war schon fünf Meilen weiter, als ihm klarwurde,
dass er das, was er gesehen hatte, nicht einfach ignorieren konnte. Er hielt an
der nächsten Parkbucht an und saß da; den Kopf aufs Steuerrad gelegt, atmete er
flach, und seine Hände zitterten. Er wagte nicht, sein Handy zu benutzen, denn
er war sicher, dass die Polizei ihn orten konnte. Dann würde man ihn im Visier
haben wegen ... dieser Sache. Er schauderte. Das Bild erschien wieder vor
seinen Augen. Er schaffte es kaum aus dem Wagen, da entleerte sich sein Magen
mit einem kräftigen heißen Schwall, der auf seinen Stiefeln und der Hose
landete.
»Reiß dich zusammen«, ermahnte
er sich mit zittriger Stimme. Er musste eine Telefonzelle finden. Ein Telefon,
das weit von seinem Wohnort entfernt war. Barton wischte sich den Mund ab und
ließ sich wieder ins Auto fallen. Ein Telefon und etwas Ordentliches zu trinken.
Dieses eine Mal war Derek Barton
durchaus bereit, einen Kunden zu enttäuschen.
Es war nicht leicht gewesen,
aber Tony hatte Carol überredet, ihm Tim Parker zu überlassen. Tony ließ sie in
ihrem Büro zurück und ging durch die Einsatzzentrale an den Tisch, an dem Tim
mit einem Gesicht saß, das so abweisend war wie eine zugeschlagene Tür. Sobald
Tony nah genug herangekommen war, knurrte Tim wütend, aber leise: »Sie haben
kein Recht, sich hier einzumischen. Es ist mein Fall. Sie haben hier nichts zu
sagen. Sie sind kein Polizist, nicht einmal ein offizieller Berater. Sie
sollten überhaupt nicht in diesem Raum sein.«
»Sind Sie fertig?«, erwiderte
Tony in einem Ton, der irgendwo zwischen Abschätzigkeit und Sympathie lag. Er
zog einen Stuhl heran und legte demonstrativ Tims Profil auf den Tisch.
Tim riss das Profil an sich.
»Wie können Sie wagen ... Das ist vertraulich. Es ist ein Verstoß gegen die
offiziellen Regeln, es jemandem zu zeigen, der nicht als Mitglied der Ermittlergruppe
eingesetzt ist. Und das sind Sie nicht. Wenn ich das melde, sitzen Sie und DCI
Jordan in der Klemme.« Tonys Lächeln war mitfühlend, sein Kopfschütteln sorgenvoll.
»Tim, Tim, Tim«, sagte er liebenswürdig.
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