McDermid, Val
heute
war der Tag! Endlich würde er eine Gelegenheit bekommen, das zu tun, wonach er
sich schon so lange sehnte. Zur Teestunde würde er in einer Staubwolke auf
einem Dirtbike über holpriges Gelände flitzen und durch ein Taschentuch vor dem
Mund atmen wie ein Cowboy auf der Prärie. Seine Mum und sein Dad hatten ihm nie
etwas erlaubt, was sie für gefährlich hielten. Sein ganzes Leben schon hatten
sie ihn in Watte gepackt, als würde er in Stücke brechen, wenn er umfiel. Er
konnte sich noch an die schreckliche Demütigung bei seinem ersten Schulausflug
mit Übernachtung erinnern. Er war acht Jahre alt, und seine Klasse war in ein
Abenteuercamp oben in den Pennines gefahren. Außer den Lehrern waren auch
einige Eltern mitgekommen, damit das Zahlenverhältnis von Erwachsenen und
Schülern stimmte. Und natürlich war seine Mutter auch dabei gewesen. Jedes
Mal, wenn er an einer der Aktivitäten teilnehmen wollte - sich von einem Felsen
abseilen, klettern, Kajak fahren oder an der Seilrutsche hängen -, hatte sie
sich eingemischt und ihn davon abgehalten, etwas Aufregendes zu machen. Er
hatte zwei Tage mit Hindernislauf und Bogenschießen zugebracht. Es war genau
das, was man seinen Feinden wünscht.
Seine Mum meinte es gut, das
wusste er. Aber im Lauf der Jahre war er durch sie in einem fort zur
Zielscheibe des Spotts geworden, und manchmal ging es noch weiter. Er hatte
Glück gehabt, dass sein Grundschullehrer gegen Mobbing und Quälereien vorging.
Als er ins Privatgymnasium kam, versuchte er, sich möglichst unsichtbar zu
machen. Die sportlichen Typen wussten gar nicht, dass er existierte, ihnen
fiel nicht auf, dass er nie etwas auch nur entfernt Riskantes tun durfte. Aber
trotzdem sehnte sich Ewan nach einer Gelegenheit, etwas Aufregendes zu
unternehmen. Er sah gern Extremsport im Fernsehen und hatte in den letzten zwei
Jahren hart daran gearbeitet, fit zu werden und Muskeln aufzubauen. Selbst seine
Mum konnte nichts dagegen haben, dass er im Fitnessraum trainierte, den sein
Vater im Keller eingerichtet hatte. Er brauchte nur noch eine Gelegenheit, bei
der er seinen Körper bis an die Grenzen treiben konnte.
Bis er BB bei Rig traf. Der
Kerl hatte das Glück, auf einer Farm zu wohnen, wo er ein eigenes Quad und
Dirtbikes hatte. Noch besser war es, dass er Ewan zum Kumpel haben wollte. Und
nun, heute Abend, würde er seine Gelegenheit bekommen, das zu erleben, wovon er
bis jetzt nur geträumt hatte.
Seine Mutter dachte, er nehme
an einem Debattierwettbewerb in Manchester teil. Sie erwartete ihn erst um neun
zu Haus, und das würde super klappen. BB hatte versprochen, er werde ihm etwas
zum Anziehen leihen und er könne duschen, bevor er um halb neun den Bus nehmen
müsste. Alles würde tadellos hinhauen.
Ewan hatte keine Ahnung, wie
er den Tag durchstehen sollte, ohne vor Aufregung zu platzen. Aber irgendwie
würde er es schaffen. Er war gut darin, im Leben irgendwie klarzukommen.
Eine Meile entfernt davon gab
Carol auf dem Polizeirevier, das dem Zuhause der McAlpines am nächsten lag, den
Überwachungstrupps ihre letzen Anweisungen. Es waren drei Pkws, ein Motorrad
und verschiedene Fußgänger, die von einem Van unterstützt wurden, in dem sie
mit Hilfe von Jacken, Mützen, Perücken, Barten und Ähnlichem ihr Aussehen verändern
konnten. »Es wird ein langer Tag werden«, sagte Carol. »Solange Ewan in der
Schule ist, können sich die meisten zurückhalten, aber wir werden Leute am
Vorder- und am Hintereingang brauchen, damit wir sicher sein können, dass er
sich nicht früher rausschleicht. Es gibt keinen Grund, warum er das tun sollte
- wir kennen ja die Abmachung. Aber vielleicht ist die Aufregung zu viel für
ihn. Deshalb müssen wir auf der Hut sein. Noch Fragen?«
Paula meldete sich. »Wir
wissen, dass dieser Mörder schnell handelt. Werden wir so rasch wie möglich
zugreifen, sobald er Ewan mitnimmt?«
»Ich treffe keine
Entscheidungen über die Festnahme, bis wir mittendrin sind«, erklärte Carol.
»Es gibt zu viele Variablen. Ewan hat natürlich Priorität für uns. Aber wir
müssen auch sicherstellen, dass wir Beweise für die Entführung haben. Also,
wenn wir alle so weit sind, nehmen jetzt wir unsere Positionen ein. Dass wir
ihm zur Schule folgen, gibt uns die Gelegenheit, uns sein Äußeres einzuprägen,
und zugleich ist es ganz nützlich, alles schon mal durchzuspielen. Also, dann
legen wir los. Und viel Erfolg für alle.«
Der Schulweg war kein Problem.
Der Audi von Ewans Mutter war vorn
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