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McDermid, Val

McDermid, Val

Titel: McDermid, Val Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vatermord
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Hammer von einem
Haus für einen Mann, der allein lebte. Vielleicht hatte er gern Gäste gehabt.
Oder vielleicht hatte er nur der Welt zeigen wollen, wie erfolgreich er war.
Offensichtlich hatte es Edmund Arthur Blythe nicht an Geld gefehlt. Tony
dachte daran, dass das Gleiche auch für ihn gelten würde, wenn es verkauft
wäre. Er hatte dank der Erbschaft schon fünfzigtausend Pfund auf seinem Konto,
aber das war nur ein Bruchteil von dem, was das Haus einbringen würde. Niemals
hatte er sich vorgestellt, dass er so viel Geld zur Verfügung haben könnte.
Deshalb hatte er sich auch nie überlegt, was er damit machen würde. Er hatte
keinen kostspieligen Geschmack. Weder sammelte er Bilder, noch fuhr er
schnelle Autos oder trug teure Anzüge. Selbst in guten Zeiten war er kein
Anhänger von Urlaubsreisen und hatte keine Vorliebe für exotische Fernzeile, wo
es zu heiß und das Trinkwasser mit Vorsicht zu genießen war, außerdem musste
man sich Nadeln in den Hintern oder den Arm rammen lassen, bevor man fliegen
konnte. Die Dinge, die ihm den größten Spaß machten, waren zufällig auch die,
für die er entlohnt wurde: seine Patienten zu behandeln und Profile von
Menschen mit durcheinandergeratener Psyche zu erstellen. Aber bald würde er
ein reicher Mann sein, ob es ihm passte oder nicht. »Ich kann es ja auch
verschenken«, sagte er laut. Es gab jede Menge Wohltätigkeitsorganisationen,
die einen solchen Geldsegen sinnvoll verwenden würden. Und trotzdem sprach ihn
dieser Gedanke nicht so an, wie er erwartet hatte. Offenbar hatte Cyndi Lauper
recht, als sie sang, dass Geld alles verändert. Ungeduldig wandte er seine
Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu.
    Es standen weitere Bilder zu
Verfügung, ein Mausklick genügte. Aber Tonys Finger zögerten. Er wusste nicht,
ob er dem gewachsen war. Er hatte ganz bewusst beschlossen, die Welt des
Mannes, von dem die Hälfte seiner Gene stammte, nicht zu erkunden. Er wollte
kein glückliches und erfülltes Leben entdecken, einen allseits beliebten und
ausgeglichenen Mann aufspüren und herausfinden, dass er von jemandem übergangen
worden war, der aus seiner Kindheit statt eines Jammertals etwas hätte machen
können, das halbwegs normal gewesen wäre. Wenn er eine solche Wahrheit zutage
förderte, konnte das nichts als Verbitterung auslösen. Vanessas Sohn zu sein
hatte ausweglos in eine unglückliche Kindheit und Jugend geführt. Beide, seine
Mutter und seine Großmutter - letztere hatte die Hauptlast der Erziehungspflichten
getragen -, hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass er absolut nichtsnutzig
sei, den Samen des Lasters in sich trüge und sich nichts weiter erhoffen dürfe,
als ein Jammerlappen zu werden. Als Psychologe hatte er gelernt, dass seine
Kindheitserlebnisse geradezu ein Bauplan waren für die Art von Wesen, die er in
seinem Berufsleben mit Hilfe seiner Profile aufzuspüren versuchte. Er ähnelte
ihnen mehr, als irgendjemand, selbst Carol, ahnen konnte. Sie jagten Opfer; er
jagte sie. Sie legten sich Profile für Opfer zurecht, er erstellte Profile von
ihnen. Es war das gleiche Bedürfnis, fürchtete er. Wäre Blythe ein Teil seines
Lebens gewesen, dann hätte er vielleicht ganz andere Bedürfnisse gehabt. Er
wollte nicht daran denken, was das bedeutet hätte. Deshalb hatte er alle Vorbereitungen
am Telefon und per E-Mail getroffen und ließ Blythes Anwalt die Schlüssel
direkt an den Immobilienmakler schicken. Der Anwalt hatte getan, als sei dies
völlig normal, aber Tony wusste, dass es nicht so war. Er begriff nur zu gut,
dass er eine Mauer zwischen sich selbst und dem Mann errichtete, der sich
geweigert hatte, sein Vater zu sein. Es gab keinen Grund, weshalb er sein
eigenes Gleichgewicht für jemanden gefährden sollte, der nur den Mut gefunden
hatte, seinen Sohn erst nach seinem Tod anzuerkennen. Aber trotzdem gab eine
leise Stimme in seinem Kopf keine Ruhe und sagte ihm, es würde eine Zeit
kommen, da er es bedauern würde, dass er diese Distanz aufrechterhalten hatte.
»Vielleicht schon«, sagte er laut. »Aber ich kann das jetzt nicht.« Einen
Moment überlegte er, ob er den Auftrag, das Haus zu verkaufen, zunächst
zurückstellen sollte, damit Blythes Heim unverändert erhalten bliebe und er es
später, wenn er dem gewachsen war, mit forschendem Blick betrachten konnte.
Aber er verwarf den Gedanken schon, bevor er ihn wirklich zu Ende gedacht
hatte. Vielleicht würde er nie bereit sein, und es war nicht in Ordnung, Häuser
leer stehen zu

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