McDermid, Val
inhalierte tief, seine Zigarette war offenbar sein Lebenserhaltungssystem.
»Unser Chief Superintendent hat Höhenangst, wir sind also ziemlich sicher hier
oben. Also, was wollen Sie von mir, DC Mclntyre?«
»Ich dachte, Sie könnten mich
darüber informieren, wie weit Sie mit Daniel Morrison sind. Dann brauche ich
nicht dieselbe Arbeit noch mal zu machen.«
Er brummte. »Ich dachte, ihr
Elitefuzzis macht das ohnehin? Fangt ganz am Anfang an, macht alles noch mal,
was schon abgehakt ist, und dann sammelt ihr die Lorbeeren ein?«
»Sie müssen uns mit anderen
Wichsern verwechseln, Sergeant.« Paula wandte sich ab, um die Flamme zu
schützen, als sie ihre eigene Zigarette anzündete. Sie spürte, wie sie gelöster
wurde, als das Nikotin ihr zu Kopf stieg und ihr leicht schwindelte. Sie war
geschickt darin, Leute, die sie befragte, zu überrumpeln. Sie wusste, dass
dies für die Wertschätzung, die Carol Jordan ihr entgegenbrachte, ganz wichtig
war, aber sie wollte den Prozess nicht zu gründlich analysieren, dadurch könnte
er womöglich seine Wirksamkeit verlieren. Also warf sie jetzt Franny Riley ein
komplizenhaftes Lächeln zu, ohne wirklich darüber nachzudenken. »Ich schätze,
Sie haben da den vollen Durchblick.«
Sie sah, dass Riley sichtlich
lockerer wurde. »Kluges Mädchen.«
»Sie scheinen ja nicht sehr
besorgt zu sein wegen Daniel. Heißt das, Sie halten ihn für einen Ausreißer?«
Riley zuckte mit seinen massigen Schultern. »Nicht gerade für einen Ausreißer.
Mehr ein Junge, der auf ein Abenteuer aus ist. Wie Sie sagten, er wird
wahrscheinlich mit einer zufriedenen Visage wieder auftauchen, weil er sich
amüsiert hat.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Riley zog intensiv an seiner
Zigarette und sprach, während er den Rauch ausatmete. »Verwöhnter kleiner
Scheißer. Mummys und Daddys kleiner Liebling. Kein Grund für ihn abzuhauen,
wenn er doch zu Hause alles bekommt, was er haben will.«
Paula hinterfragte das für den
Moment nicht. Nach ihrer Erfahrung konnte man sich meistens in den ersten zwei
Tagen nach dem Verschwinden kein vollständiges Bild von der Familie machen. Es
mochte an der Oberfläche so aussehen, als fehlte es Daniel an nichts, aber das
hieß manchmal auch, dass ein Kind mit mehr fertig werden musste, als es
bewältigen konnte. »Sie haben eine Entführung ausgeschlossen?«
»Wenn es Kidnapping wäre,
würden die Eltern entweder nicht mit uns reden, oder es gäbe inzwischen eine
Lösegeldforderung. Außerdem ist der Vater nicht geeignet für Lösegeld. Er hat
genug, aber nicht so viel, dass sich eine Entführung lohnen würde.« Riley nahm
noch einen letzen Zug von seiner bis auf den Filter heruntergebrannten
Zigarette und zerrieb die Kippe mit einer Geste der Endgültigkeit unter seinem
Schuh.
»Wann wurde er zuletzt
gesehen?«
Riley gähnte, streckte sich
und nahm sich dann noch eine Zigarette. »Er geht in die
William-Makepeace-Schule. Am Montag fuhr er nach der Schule mit dem Bus in die
Stadt. Er war allein, aber zwei der anderen Jungen aus seinem Jahrgang saßen in
seiner Nähe. Sie stiegen alle am Bellwether Square aus. Die anderen Jungs
gingen zum Computerspieleladen. Sie sagen, Daniel sei über den Platz in die
entgegengesetzte Richtung verschwunden.«
»In Richtung Temple Fields?«
Paula spürte, wie die Härchen auf ihren Armen sich unwillkürlich aufrichteten.
Es hatte nichts mit dem kalten Wind zu tun, der aus dem Moor herunterwehte.
»Ja, stimmt.«
»Und danach?«
Riley zuckte mit den Achseln.
»Na ja, wir haben keinen Aufruf rausgegeben, also haben sich keine fünfhundert
Leute von Land's End bis John O'Groats gemeldet, die unsere Zeit verschwenden
und uns melden, sie hätten ihn gesehen.« Er machte einen Schritt zum Eingang
des Häuschens und schaute über die Stadt hinweg, offenbar war er mit seinem Bericht
fertig. Paula wollte Riley schon als einen faulen Kerl abschreiben, da
überraschte er sie. »Ich hab mir mal die Aufnahmen aus den Überwachungskameras
der Stadtmitte angesehen«, sagte er. »Die Jungen haben die Wahrheit gesagt.
Daniel überquerte den Platz und ging eine Seitengasse hinunter, die nach Temple
Fields hineinführt.« Er wandte den Kopf und sah sie abschätzend an. »Sie
wissen ja besser als die meisten, wie es dort ist. Habe ich recht?«
Einen Augenblick war Paula
nicht sicher, ob er auf ihre sexuelle Neigung anspielte. »Wie bitte?«, sagte
sie in scharfem Ton, um klarzustellen, dass sie Lesbenfeindlichkeit nicht ohne
Gegenwehr durchgehen
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