McDermid, Val
entgegnete er in unüberhörbar
vorwurfsvollem Ton.
»Weil es völlig harmlos war,
deshalb«, entgegnete Tania. »Sie und Claire trafen sich mit zwei Mädchen aus Solihull.
Sie gingen einen Nachmittag bei Selfridges in Birmingham shoppen. Ich habe
vorher mit der Mutter von einem der Mädchen gesprochen. Sie amüsierten sich
und meinten, sie würden es eines Tages wiederholen.«
»Wann war das?«, fragte Tony.
»Ungefähr vor drei Monaten.«
»Und es waren nur die vier?
Sind Sie sicher?«
»Natürlich. Ich habe Claire
sogar noch einmal gefragt. Nachdem sie alle dauernd von RigMarole anfingen.
Sie schwor, dass niemand anders mit dabei war.«
Aber jemand anders hätte im
Internet ihre Verabredung mitbekommen können. Ein fünftes Augenpaar hätte
alles sehen können, was die Mädchen taten. Aber Tony war nicht so unsensibel,
diese Gedanken zu äußern. »Jennifer hört sich nach einem sehr vernünftigen Mädchen
an.«
»Das war sie auch«, bestätigte
Tania leise, und ihre Finger strichen über die Sessellehne, als sei sie das
Haar ihrer Tochter. »Nicht in einem langweiligen, streberischen Sinn. Dafür
war sie zu temperamentvoll. Aber sie wusste, dass die Welt gefährlich werden
kann.« Ihr Gesicht verzog sich. »Wir liebten sie so sehr. Unser einziges Kind.
Ich habe dafür gesorgt, dass ihr bewusst war, dass es in manchen Situationen
wichtig ist, vorsichtig zu sein.«
»Ich verstehe«, sagte Tony.
»Was hätte sie denn verleiten können, jemanden heimlich zu treffen? Was hätte
sie dazu bringen können, ihre Vernunft außen vor zu lassen und sich mit einem
Fremden zu verabreden? Was wäre eine so große Versuchung für sie gewesen, dass
sie ihre beste Freundin angelogen hätte? Ich meine, wir alle belügen hin und
wieder unsere Eltern, so läuft es eben. Aber Teenager lügen ihre besten
Freundinnen nicht ohne einen sehr dringenden Grund an. Und ich versuche mir
vorzustellen, was das gewesen sein könnte. Gab es etwas, irgendetwas, das Jennifer
sich so sehr wünschte, dass sie Vorsicht und Vernunft einfach beiseitegedrängt
hätte?« Die Maidments sahen einander verblüfft an. »Mir fällt nichts ein«,
antwortete Tania.
»Wie steht's mit Jungen? Hätte
es jemanden geben können, in den sie verknallt war? Jemanden, der sie überredet
haben könnte, es geheim zu halten?«
»Sie hätte es Claire erzählt«,
sagte Tania. »Ich weiß, dass sie über Jungen redeten, die ihnen gefielen. Es Claire
zu erzählen hätte nicht bedeutet, ein Versprechen zu brechen.« Sie hatte
wahrscheinlich recht, dachte er. Was sie beschrieb, war das ganz normale
Benehmen von weiblichen Wesen, besonders von Teenagern. Tony erhob sich. Es
gab hier nichts mehr zu tun für ihn. Jennifers Zimmer hatte die Polizei schon
durchsucht. Es würde jetzt zu durcheinander sein, als dass sich daraus noch
etwas Nützliches ablesen ließ. »Wenn Ihnen etwas einfällt, rufen Sie mich an«,
bat er und gab Paul Maidment eine Karte mit seiner Handynummer. »Oder wenn Sie
einfach über Jennifer sprechen möchten. Ich höre gerne zu.« Die Maidments
schienen beide perplex wegen des plötzlich beendeten Gesprächs. Tony dachte,
sie hätten wahrscheinlich einen weitläufigen mitfühlenden Erguss erwartet. Aber
welchen Sinn hätte das haben sollen? Er konnte ihnen nicht helfen, sich
besser zu fühlen, auch wenn sie das wünschten. Aber Tania Maidment wollte das
nicht einfach hinnehmen. »Das war's?«, rief sie empört. »Fünf Minuten Ihrer
kostbaren Zeit, und dann sind Sie schon wieder weg? Wie können Sie in fünf
verdammten Minuten etwas über meine Tochter erfahren haben?«
Tony war bestürzt. Leute, die
einen geliebten Menschen verloren hatten und ihre Wut loswerden wollten,
hackten normalerweise auf der Polizei herum, nicht auf ihm. Er war daran
gewöhnt, Carol gegenüber Verständnis zu zeigen, nicht, die Kritik selbst
einzustecken. »Ich mache diese Arbeit schon lange«, erwiderte er und versuchte,
nicht defensiv zu klingen. »Ich werde mit ihrer Freundin Claire sprechen, ich
werde ihre E-Mails lesen. Sie sind nur eine der Quellen für mein Bild von
Jennifer.«
Tania sah aus, als wäre sie
vor den Kopf geschlagen worden. Sie machte ein Geräusch, das an einem anderen
Tag vielleicht ein verächtliches Schnauben gewesen wäre. »So weit sind wir also
schon, was? Ich bin nur eine der Quellen für das Leben meiner Tochter.«
»Es tut mir leid«, sagte Tony
abschließend. Noch länger zu bleiben würde den Schmerz der Maidments nur
unnötig in die Länge
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