McDermid, Val
will?«
»Ich weiß es nicht. Ich
informiere Sie nur darüber, was er gesagt hat.« Ambrose hatte das Steuer fest
gepackt. Sein Unbehagen schien förmlich in der Luft zu liegen. »Er befürchtet
doch wohl nicht, dass ich sie an die Daily Mail verkaufen könnte«, zischte Tony unverhältnismäßig
verärgert über die herabsetzende Behandlung. »Es geht um Kontrolle. Er hat
Angst, die Kontrolle über seine Ermittlungen zu verlieren.« Er breitete
aufgeregt die Hände aus. »So kann ich nicht arbeiten. Es ist eine Verschwendung
meiner Energie, mich in solche Belanglosigkeiten hineinziehen zu lassen.
Schauen Sie, Alvin, ich arbeite so, wie ich eben arbeite. Ich kann mich nicht
genug konzentrieren, wenn mir jemand über die Schulter schaut. Mitten im
Betrieb und in der Hektik kann ich mich nicht hinsetzen. Ich muss diese Dinge
genau studieren, und zwar zu meinen Bedingungen.«
»Alles klar«, sagte Ambrose.
»Der DI ist eben nicht daran gewöhnt, mit jemandem wie Ihnen
zusammenzuarbeiten.«
»Dann muss er anfangen, das zu
lernen«, erwiderte Tony. »Es würde vielleicht auch helfen, wenn ihm mehr daran
gelegen wäre, mich persönlich zu treffen. Können Sie das für mich erledigen,
oder muss ich mit ihm reden?«
»Überlassen Sie es mir«,
murmelte Ambrose. »Ich seh zu, was ich tun kann.«
Sie schwiegen den Rest des
Weges, und Tony versuchte, alles zu verdrängen, was zwischen ihm und dem
nächsten Schritt lag, der ihn seinem unbekannten Vater näherbringen würde. Im
Moment war nur wichtig, die Maidments aus ihrem Schmerz herauszuholen, damit
sie ihm sagen konnten, was er wissen musste.
Der Mann, der die Tür öffnete,
hielt sich aufrecht und wirkte steif und brüchig wie ein trockenes Schilfrohr.
Ambrose stellte sie einander vor, und sie folgten Paul Maidment ins Wohnzimmer.
Tony hatte schon oft gehört,
dass die Menschen auf verschiedene Weise vom Schmerz getroffen würden. Er
wusste nicht so genau, ob er dem zustimmen sollte. Sie mochten äußerlich
verschiedene Reaktionen zeigen, aber wenn man der Sache auf den Grund ging, war
es doch immer so, dass der Kummer das Leben eines Menschen zerriss: in das
Leben vor dem Verlust und das danach. Es gab immer einen Bruch. Bei manchen
Leuten war das schon äußerlich wahrnehmbar, manche vergruben es tief im Innern
und rollten einen schweren Stein davor. Manche gaben vor, es sei überhaupt nie
geschehen. Aber wenn man Jahre später mit ihnen sprach, ordneten sie ihre
Erinnerungen immer mit Blick auf den Verlust: »Da hat dein Vater noch gelebt«
oder »Das war, nachdem Margaret gestorben war«. Es war so präzise wie die
Zeitangabe vor und nach Christus. Und - nebenbei bemerkt - damals ging es ja
auch um einen Verlust, was immer man von Jesus' Glaubwürdigkeit als Gottes
Sohn halten mochte.
In seiner Rolle als Profiler
lernte Tony meistens Menschen kennen, die sich auf der schrecklichen Seite nach
dem Bruch befanden. Er wusste selten, wie sie gewesen waren, bevor ihr Leben
zerrissen wurde. Aber oft konnte er gut erspüren, was auf der anderen Seite des
Abgrunds lag. Sein Verständnis für das, was sie verloren hatten, trug
wesentlich zu seinem Einfühlungsvermögen bei. Diese Fähigkeit half ihm, die
Ausgangslage einzuschätzen und zu erfassen, wie die Menschen sich in der
Dunkelheit zu orientieren versuchten. Sein erster Eindruck von Paul Maidment
war der eines Mannes, der sich entschlossen hat, einen Strich unter den Tod
seiner Tochter zu ziehen und weiterzumachen. Es fiel ihm aber sichtlich
schwer, sich an diese Entscheidung zu halten. Im Moment war er in Gefahr, zum
dritten Mal zu straucheln, dachte Tony.
»Meine Frau ... sie kommt
gleich runter«, sagte Maidment und schaute sich um wie jemand, der diese
Umgebung zum ersten Mal sah und nicht wusste, wie er hergekommen war. »Sie sind
wieder zur Arbeit gegangen heute«, stellte Tony fest.
Maidment sah aufgeschreckt
aus. »Ja. Ich dachte ... Es gibt zu viel zu tun, ich kann es niemand anderem
überlassen. Das Geschäft ... geht wirklich nicht gut zur Zeit. Und wir sollten
nicht auch obendrein noch Kunden verlieren ...« Zerstreut und verstört verstummte
er.
»Es ist nicht Ihre Schuld. Es
wäre geschehen, ob Sie zu Hause gewesen wären oder nicht«, versicherte ihm
Tony. »Tania und Ihnen ist nichts vorzuwerfen.«
Maidment starrte Tony an. »Wie
können Sie das sagen? Jeder weiß doch, dass das Internet gefährlich ist für
Teenager. Wir hätten besser auf sie aufpassen sollen.«
»Es hätte keinen
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