McDermid, Val
Aber die andere
Seite ist die Angst, sie zu verlieren. Fälle wie dieser, in denen Eltern ihre
Kinder begraben müssen, das ist wie ein Nagel durchs Herz.«
Ein Klopfen unterbrach ihr
Gespräch, und ohne Aufforderung kam ein weiterer Jugendlicher herein. Schlank
und dunkel, war er der kleinste Junge, den sie den ganzen Morgen gesehen
hatten, vielleicht zehn Zentimeter kleiner als die anderen. Seine perfekte
Haut hatte die Farbe gerösteter Mandeln, er hatte einen dicken, glänzenden
Schopf dunkler Haare, eine Nase wie der Bug eines Wikingerschiffs und einen
Mund wie eine Rosenknospe. Eine Zusammenstellung von Gesichtszügen, die einen
zweiten Blick erforderlich machten. »Ich heiße Asif Khan«, verkündete er und
ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er saß, die Hände in den Taschen, die Beine
gerade ausgestreckt und über dem Fußgelenk gekreuzt. »Und ihr seid die Cops.«
Jetzt geht's los. Kevin stellte sie beide vor
und kam gleich zur Sache. »Du weißt ja, warum wir hier sind. War Daniel ein Freund
von dir?« Er erwartete nicht viel. Die Jungen, von denen man ihnen gesagt
hatte, sie seien mit Daniel befreundet gewesen, ein halbes Dutzend, waren als
erste hereingeschickt worden, um mit ihnen zu sprechen. Dann kamen noch acht
oder neun andere, und keiner gab mehr zu, als dass er ihn kannte.
»Wir war'n ja Brüder, wa?«,
meinte Asif. Paula beugte sich auf ihrem Stuhl vor und schob ihr Gesicht nahe
an den Jungen heran. »Tu mir den Gefallen, Asif. Lass das. Du bist ein Schüler
an der William Makepeace, nicht Kenton Vale. Dein Daddy ist Arzt, kein
Gemüsehändler. Komm mir nicht mit dem nachgemachten Straßenslang. Sprich normal
mit uns und mit Respekt, oder wir befragen dich auf der Polizeiwache, auf
unserem Terrain und zu unseren Bedingungen.«
Asifs Augen weiteten sich, so
schockiert war er. »So können Sie nicht mit mir reden - ich bin minderjährig.
Es sollte ein Erwachsener bei mir sein. Wir sprechen nur mit Ihnen, weil die
Schule gesagt hat, das sei das Beste.«
Paula zuckte mit den Achseln.
»Ist mir recht. Dann holen wir deinen Dad auch aufs Revier, mal sehen, welchen Eindruck
die großen Sprüche seines Sohnes auf ihn machen.«
Noch ein paar Minuten hielt
Asif Paulas strengem Blick stand, dann senkte er eine seiner Schultern und
wandte sich halb von ihr ab. »Okay, okay«, murmelte er. »Daniel und ich waren Freunde.«
»Aber offenbar denkt das sonst
niemand«, warf Kevin ein, während Paula sich auf ihrem Stuhl wieder
zurücklehnte. »Ich hab mich nicht mit den Wichsern abgegeben, mit denen Daniel
herumhing, wenn Sie das meinen. Ich und Daniel, wir haben andere Sachen
zusammen gemacht.«
»Was für Sachen?«, fragte
Kevin, und in seiner Vorstellung stieß er auf allerhand Möglichkeiten.
Asif zog jetzt die Beine unter
seinen Stuhl zurück. »Comedy«, antwortete er, anscheinend verlegen.
»Comedy?«
Er hampelte nervös auf seinem
Stuhl herum. »Wir wollten beide Stand-up Comedians werden, klar?« Einer der
anderen Jungen hatte Daniels Interesse an Comedy erwähnt, diesen ehrgeizigen
Plan aber verschwiegen. »Das ist ja ganz schön abgefahren«, meinte Paula. »Habt
ihr bestimmt nicht als Fach hier, wette ich.«
Ein schwaches Lächeln ließ
Asifs Augen aufleuchten. »Nicht bis wir unsere Serie auf BBC3 haben und es gut angesehen
ist«, sagte er. »Dann wird es gleich für die Theatergruppe angeboten.«
»Du und Daniel, ihr hattet
also das gleiche Ziel. Wie hast du herausgefunden, dass ihr das beide machen
wolltet?«, fragte Kevin.
»Mein Cousin, der ist Manager
von einem Club in der Stadt. Einmal im Monat ist dort Comedy Night. Mein Cousin
lässt mich rein, obwohl er das nicht sollte. An einem Abend wollte ich also
reingehen, und da war Daniel da und hat mit dem Typ an der Tür gestritten und
behauptet, dass er achtzehn wäre. Damit wäre er nicht durchgekommen, auch nicht
mit dem falschen Ausweis. Also frag ich, was ist los, und er sagt, dass er einen
von den Typen unbedingt sehen will, er hat ihn im Radio gehört und will seine
Show sehen. Also überrede ich meinen Cousin, ihn auch reinzulassen, und wir
unterhalten uns, und ich finde raus, dass er auf jeden Fall in die Comedyszene
will. Dann treffen wir uns alle zwei Wochen bei mir zu Hause und probieren
unser Material aus.« Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. »Er war ganz
schön komisch, Daniel. Er hatte diese tolle Nummer über Erwachsene, die sich
anstrengen, so zu sein wie wir, die Kids. Und er hatte so eine
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